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Ein Getriebener der Gefühle – Guy de Maupassant zum 175. Geburtstag

Er verstand viel von Gefühlen. Und anders als die meisten Menschen konnte Guy de Maupassant ihnen auch Ausdruck verleihen. Glücklich ist er damit nicht geworden – ganz im Gegenteil.

Mit Recht wird sein Name unter den größten französischen Literaten des 19. Jahrhunderts genannt. Guy de Maupassant war zeit seines doch kurzen Lebens (1850-1893) ein Getriebener der Gefühle. Und je nach seinem aktuellen Seelenzustand waren seine Werke herausfordernd, hektisch-gepeinigt oder glasklar. Immer aber waren sie tief empfunden und schonungslos, bis in die feinen Verästelungen menschlichen Glücks und menschlicher Nöte. Ein Moralist war der gebürtige Normanne, der vor 175 Jahren, am 5. August 1850, zur Welt kam, dabei nie.

Schon in der Kindheit bekam de Maupassant viel über die Höhen und die Niederungen im menschlichen Leben mit. Geboren wurde er auf einem Schloss nahe Dieppe, das der Vater, über seine Verhältnisse lebend, angemietet hatte. Später musste sich die Familie wieder kleinersetzen. Auch stürzte sich der Vater immer wieder in amouröse Abenteuer, bis der Mutter die Hutschnur riss: Sie nahm ihre Söhne und zog mit ihnen ins malerische Seebad Étretat an der Küste der Normandie.

Von seiner katholischen Schule flog der junge Guy wegen eines frechen Gedichts und wechselte nach Rouen, wo er erste literarische Kontakte knüpfte. Nach dem Abitur ging er als Jura-Student nach Paris, wurde aber zum Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 eingezogen. Auf Vermittlung Gustave Flauberts kam er als lustloser Beamter im Bildungsministerium unter; doch in seiner Freizeit schlug er, Ruderer auf der Seine, den Weg seines Vaters als Schwerenöter und Beziehungsabenteurer ein. Das trug ihm 1877 die Syphilis ein, die er – anders als seine Amouren – nie wieder los wurde.

Erneut über Flaubert, der ihn als seinen Schüler betrachtete, gelangte Maupassant in die Kreise Pariser Literaten, verkehrte etwa mit Émile Zola; und schließlich feierte er 1880 mit der bitteren psychologischen Novelle “Boule de suif” (Fettklößchen) über eine Prostituierte im Deutsch-Französischen Krieg einen ersten Erfolg.

In kaum mehr als einem Jahrzehnt schrieb Maupassant nun etwa 300 Erzählungen und sechs Romane. Inspiration dafür boten ihm sein eigenes ausschweifendes Leben, aber auch die präzise Beobachtung seiner Umgebung. Alle Schichten der Gesellschaft schildert Maupassant so unparteiisch wie wortgewandt: die Bauern und Bettler der Normandie (“Le Gueux”, 1884), Pariser Aristokratie und Großbürgertum, die kleine Welt der Kleinbürger und die abgestoßene Welt der Ausgestoßenen, der Entrechteten und Gestrandeten.

Maupassants Blick auf die Menschen und ihre Gesellschaft ist ein pessimistischer. Hinter einer nun dünnen Fassade sittlicher Normen deckt er ungnädig Selbstbezogenheit, Biestigkeit und Gewaltbereitschaft auf – freilich ohne die tröstende Illusion, etwa durch Ermahnung eine Heilung von der “ewigen, allumfassenden, unzerstörbaren und allmächtigen Dummheit” des Menschen bewirken zu können.

Im Laufe der Jahre mehrte sich zwar sein Wohlstand; seine Gesundheit dagegen schwand. Literaturwissenschaftler haben darauf hingewiesen, wie gestochen scharf und scheinbar aus einem Guss Maupassant seine frühen Werke niederschrieb – die er offenbar auch freihändig zu rezitieren vermochte. In den späteren Jahren werde dies abgelöst von hektischen, wie hingekritzelten Autographen mit immer mehr energischen Streichungen und Ergänzungen.

Diese Art fieberhaften Arbeitens spiegelt sich auch in der Grusel-Novelle “Le Horla” von 1887 wider. Ein Ich-Erzähler von eh deprimierter Verfassung fühlt sich mehr und mehr von einem Gespenst bedrängt, dem Horla. Im Tagebuchstil schildert Maupassant den geistigen Verfall eines Menschen, den der Wahnsinn packt und zum Brandstifter macht. Dieses Meisterwerk der Schauerliteratur mit seinen abgehackten, hektischen Sätzen erregte viel Aufsehen in der Pariser Gesellschaft.

Umso schöner – und doch hoffnungslos und buchstäblich herzzerreißend – der Roman “Notre Coeur” (Unser Herz) von 1890. Hier verliebt sich der bürgerliche Hauptdarsteller André Mariolle unstillbar in eine junge Pariser Witwe, Michèle de Burne – der er zwar ausnehmend gut gefällt, die jedoch am Ende nur mit ihm spielt, weil sie selbst nicht mehr leiden möchte.

Mariolle erkennt, dass “das ganze Leben nur aus ‘Beinahe’ besteht”. Er flieht, gebrochen, aufs Land und lernt dort ein hübsches Dienstmädchen kennen – und leidlich lieben. Als Michèle dort auftaucht, bricht die idyllische Illusion in sich zusammen: Diese Menschen wollen sich gegenseitig lieben – aber sie können es nicht. Maupassants letzter Roman wirkt wie eine Art emotionaler Abschied; fast spürt man seine Qual bei der Abfassung.

Schlaflosigkeit, Angstzustände, Kopfschmerz und Sehstörungen, begleitet von zunehmendem Drogenkonsum: Er steuerte auf das Ende zu. Am Neujahrsabend 1892 der Zusammenbruch im Beisein der geliebten Mutter; es folgten ein missglückter Suizidversuch und die Einweisung in eine psychiatrische Klinik in Passy bei Paris. Dort starb Guy de Maupassant am 6. Juli 1893.