Wahrscheinlich wird Clint Eastwood als der produktivste Regisseur in hohem Alter in die Filmgeschichte eingehen: Er wird am 31. Mai 95 Jahre alt und hat in den vergangenen Jahren einen Film nach dem anderen gedreht. Es sind Werke, die wie aus der Zeit gefallen wirken und so ganz anders aussehen als das, was man sich heute unter Hollywood vorstellt: keine Superhelden, keine atemberaubenden Stunts, keine schnellen Schnitte, keine Special-Effects-Orgien. Die Filme von Clint Eastwood vertrauen auf ihre Geschichte und ihre Charaktere. Er erzählt geradeaus, alles ist der Ökonomie der Geschichte untergeordnet.
Man kann das an seinem letzten Werk ablesen, „Juror #2“, der in Deutschland in diesem Januar in die Kinos kam. Es geht um einen Geschworenen, der erkennen muss, dass in seinem Mordprozess wahrscheinlich er der Täter ist, wenn auch unwissentlich. Eastwood bedient sich eines uramerikanischen Genres, des Gerichtsdramas – schon der Titel weist auf den Klassiker „Die 12 Geschworenen“ hin. Meisterhaft spitzt Eastwood den Druck zu, der auf dem Geschworenen liegt, einem Lokaljournalisten. Es war Eastwoods 41. Film, vielleicht sein Abschiedswerk. Aber die Gerüchteküche brodelt schon, ob er nicht doch ein neues Projekt angeht.
„Juror #2“ verhandelt komplexe Fragen der Moral, des Rechts und der Gerechtigkeit, ein großartiges Alterswerk. Eastwood hat in den vergangenen Jahren, durchaus ambivalent, wahre amerikanische Heldengeschichten verfilmt: die des traumatisierten Scharfschützen Chris Kyle in „American Sniper“, die des Piloten Chesley Sullenberger, der seine Maschine auf dem Hudson notlandete („Sully“) oder die des Security-Manns, der bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 eine Bombe entdeckte und selbst vom FBI ins Visier genommen wurde, in „Der Fall Richard Jewell“.
Im Laufe der Jahre ist ein ganz besonderes amerikanisches Panorama zusammengekommen, das vom Bürgerkrieg („Der Texaner“) über die 30er Jahre („Der fremde Sohn“), den Zweiten Weltkrieg (die beiden Filme um die Eroberung der Insel Iwo Jima) bis zum Porträt des von Leonardo DiCaprio verkörperten FBI-Direktors Hoover („J. Edgar“) reichen.
Zweimal hat er den Oscar für den besten Film und die beste Regie bekommen, für den Western „Erbarmungslos“ (1992) und für „Million Dollar Baby“ (2004), das Drama einer Boxerin. „Die Brücken am Fluss“ war 1995 eine große Überraschung, ein einfühlsamer Liebesfilm. Mit diesem Werk habe der Regisseur seinen ersten Frauenfilm gedreht, schrieb damals der „Spiegel“.
Eastwood, der in San Francisco zur Welt kam und heute auf der „Mission Ranch“ in Kalifornien lebt, hat seine Karriere als Schauspieler begonnen. Nach seinem grandiosen „Gran Torino“ im Jahr 2008 wollte er eigentlich mit der Schauspielerei aufhören. Aus heutiger Sicht wirkt dieser Film tatsächlich wie ein Abgesang auf die Leinwandperson Eastwood, ein Kondensat vieler Rollen: Protagonist Walt Kowalski ist einer der vielen Außenseiter, die Eastwood verkörpert hat: ein grantiger älterer Koreakrieg-Veteran und Feind von Ausländern, der sich zu ihrem Beschützer wandelt. Zehn Jahre später hat Eastwood eine ähnliche Rolle doch noch einmal übernommen, in seinem „The Mule“, in dem er einen Drogenkurier im Seniorenalter verkörpert.
Legenden kommen in die Jahre: Dieser Ton prägt das Spätwerk von Clint Eastwood als Schauspieler. Er gehört zu den wenigen Darstellern in Hollywood, die in Würde altern durften, die nicht plötzlich abtreten mussten oder in Altersrollen als Greise abgeschoben wurden. Man hat ihm auf der Leinwand immer sein Alter angesehen, gerade in seinem zerfurchten Gesicht, und dennoch wirkte er vital.
Das Geheimnis der Attraktivität des Leinwand-Mythos Clint Eastwood: Gerade seine späten Rollen haben das Altern selbst immer wieder zum Thema – sei es nun der ehemalige Revolverheld in „Erbarmungslos“, der noch einmal zu einem letzten Kampf aufbricht, oder der Bodyguard in Wolfgang Petersens „Die zweite Chance“, der in seinem Job mitunter nach Atem ringen muss.
Nur wenige Schauspieler haben es geschafft, so unverwechselbar zu werden, dass sich der Zuschauer am Ende der Vorstellung sicher ist: Kein anderer hätte diese Rolle spielen können. Die meisten seiner Figuren sind wortkarg, stoisch, einsam, unbeirrbar. Und Eastwood verkörpert sie mit einem Minimalismus in Mimik und Gestik.
Diese bewusste schauspielerische Beschränkung, seine Coolness, bei der ein Blinzeln mit den Augen schon über Tod und Leben entscheidet, wurde zu seinem Markenzeichen. Eastwood hat sie kultiviert in Sergio Leones „Dollar“-Trilogie aus den 60er Jahren, die ihn zum Weltstar machte, und in den „Dirty Harry“-Filmen als Cop Harry Callahan in den Straßen von San Francisco mit seiner 45er Magnum.