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Durch Kirchenchaos zum geordneten Glaubensleben

Ein Tischgebet beim gemeinsamen Essen mit Angehörigen, Patinnen und Paten, Gespräche zwischen Groß und Klein über Glaubensfragen – die „Messy Church“ ist eine neue Gottesdienstform, die da anknüpft, wo der Kindergottesdienst an seine Grenzen stößt

„I don’t reaaaally go to church“, „Ich gehe eigentlich nicht in die Kirche“, erzählt die sechsjährige Sara aus dem südenglischen Portsmouth, und schaut mit ernstem Blick in die Fernsehkamera der BBC, „aber wenn es immer so wie hier wäre, dann würde es mir gefallen“. – So wie hier? Ein Blick nach links und rechts in den Kirchraum offenbart Ungewöhnliches. Dabei sind es nicht die Aktivitäten, mit denen die Kinder hier beschäftigt sind, die hier überraschen – das Malen, Basteln, selbst das Hockeyspielen ist ja aus dem Kindergottesdienst wohl bekannt. Das Überraschende ist, wer bei all dem noch mitmacht, mitspielt und mitbastelt – Eltern, Onkel und Tante, ja, selbst die Großeltern sind mit dabei und haben sichtlich Spaß.
Was hier in der Kirche in Cow­plain nahe Portsmouth zu beobachten ist, und was selbst die BBC so fasziniert, dass sie mit einem Fernsehteam vorbeischaut, ist ein Phänomen, das in England seit nunmehr zwölf Jahren immer größere Kreise zieht: die „Messy Church“ – eine neue Form von Kirche für Kinder und Erwachsene. „Erfunden“ hat die Messy Church Lucy Moore aus Süd­england. 2001 kam sie mit ihrem Mann nach Cow­plain, wo er eine Pfarrstelle übernahm.
Ausschlaggebend für die Entstehung der Messy Church war dabei ihre Erfahrung, dass der Kindergottesdienst in seinem Bemühen, Kinder an den Glauben heranzuführen, immer öfter an seine Grenzen stößt. Denn die geistlichen Impulse, die die Kinder dort mitbekommen, werden zu Hause, im Elternhaus, nicht weiter vertieft. Dort ist kaum noch eine religiöse Praxis zu finden, man betet nicht mehr gemeinsam, spricht auch nicht über den Glauben oder über religiöse Fragen, auf die auch die Eltern oft keine Antwort mehr geben können; sie fühlen sich selbst unsicher und fremd in Glaubensfragen.
So entstand die Idee, nicht allein mit den Kindern, sondern mit der ganzen Familie Gottesdienst zu feiern: mit Eltern, Tante und Onkel, Großeltern wie Patinnen und Paten. Und dies auf eine Weise, die in kreativer Form vor allem kirchenferne Menschen wieder neu an die Kirche und den Glauben heranführt, die Spaß macht und in der es richtig „messy“ zugeht, also – so die englische Bedeutung des Wortes – „bunt, durcheinander, unordentlich“ und ruhig auch etwas chaotisch.
Um das Messie-Syndrom, das Unvermögen, im eigenen Lebensumfeld die Ordnung aufrechtzuerhalten, geht es also nicht. Vielmehr geht es um einen kreativen Gottesdienst, der kirchendistanzierten Familien eine Möglichkeit gibt, sich gemeinsam auf den Weg zu machen und den Glauben neu zu entdecken.
Neben der intensiven „Kreativzeit“, in der an bis zu zehn Stationen ein biblisches Thema beziehungsweise ein Bibeltext auf verschiedene Art und Weise entdeckt und erschlossen wird, gehören immer auch ein Gottesdienst wie das anschließende gemeinsame Essen mit dazu. Gerade dort entstehen nicht nur vielfältige neue Kontakte, sondern es bietet sich auch die Gelegenheit, ungezwungen über das eigene Leben, religiöse Fragen und den Glauben miteinander ins Gespräch zu kommen. Zugleich ist es ein erster Schritt, um als Familie ganz unkompliziert eine religiöse Praxis, zum Beispiel ein Danklied oder ein Tischgebet, kennenzulernen und einzuüben.
Eine einfache Idee – mit großer Wirkung. Über 3000 Messy Churches sind inzwischen in England entstanden – aber auch weltweit zu finden: so zum Beispiel in Schweden und Holland, den USA oder Südafrika und sogar in Australien und Neuseeland. Und natürlich auch in Deutschland, so zum Beispiel in der Christuskirche in Iserlohn.
Bei einem Praxistag am 5. November in Dortmund (siehe Kasten) soll das weltweite Phänomen „Messy Church“ genauer in den Blick genommen werden. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur die Vorstellung des Konzepts und des Ablaufs einer „Messy Church“, sondern auch die Praxis. In verschiedenen Arbeitsgruppen gibt es die Gelegenheit, eigene Kreativstationen zu einem biblischen Text zu entwickeln, „Praying Stations“ (Gebetsstationen) zu entwerfen oder zu überlegen, wie „Gastfreundschaft“ (Hospitality) als wesentliches Merkmal einer Messy Church konkret umgesetzt werden kann.
Eingeladen sind haupt- wie ehrenamtlich Mitarbeitende aus Gemeinden und Diensten, die neugierig sind auf Überraschungen im Gottesdienst.

DORTMUND – Der Praxistag „Messy Church –  Mit Kindern und Erwachsenen neue Formen von Gemeinde bauen“ findet am 5. November in der Zeit von 10 bis 16 Uhr im Haus Landeskirchlicher Dienste in Dortmund (Olpe 35) statt. Die Teilnahmekosten betragen 20 Euro. Die Leitung der Veranstaltung in Kooperation des Amtes für missionarische Dienste (AmD)  in Dortmund und des Instituts für Aus-, Fort- und Weiterbildung (IAFW) in Villigst haben Andreas Isenburg (AmD – Bereich „Fresh Expres­sions of Church“) und Kerstin Othmer-Haake (IAFW – Beauftragte für Gottesdienst mit Kindern).

Anmeldung: Natalie Griffin, Amt für missionarische Dienste, Olpe 35, 44135 Dortmund, Telefon (02 31) 54 09-60, E-Mail: natalie.griffin@amd-westfalen.de. Anmeldeschluss: 2. November.