Sie haben drei Tage. Drei Tage, an denen die Mutter es sich mit ihren Freundinnen gut gehen lässt, in einem Wellness-Hotel im Schwarzwald, mit Sauna, Massage und allem Drum und Dran. Ihr Mann wird das schon überstehen, vorgekocht hat sie jedenfalls ausreichend. Aber die längst erwachsene Tochter im fernen Berlin hat da eine Idee: Sie könnten diese drei mutterlosen Tage doch mal wieder zusammen verbringen. Schauen, ob sie die einstige, so selbstverständliche Vertrautheit zwischen Vater und Tochter wiederherstellen lässt, mit Zeit, mit Ruhe. Denn in letzter Zeit haben sie sich nur noch angeschwiegen, hatten sich nichts zu sagen, wenn sich die Tochter nach langer Zeit mal wieder meldete. „Du musst nicht kommen“, sagt der Vater am Telefon. Ob es eine gute Idee ist, dass sie dennoch in den Zug steigt? Er steht jedenfalls schon mal nicht auf dem Bahnsteig, um sie abzuholen.
Dilek Güngör, Radiojournalistin, Kolumnistin und Schriftstellerin mit einem Faible für Familiengeschichten, wirft uns auf leichte wie beharrliche Weise in die Welt einer türkischen Familie, die in Deutschland auf ganz eigene Weise heimisch geworden ist und zugleich noch immer mit Fremdheit zu kämpfen hat. Sie erzählt von erinnerter Nähe wie von den Brüchen zwischen Eltern und Kindern, wenn diese erwachsen werden; erst recht, wenn die Kinder der kulturellen Heimat ihrer Eltern weder folgen können noch es möchten. Und sie schildert, wie schwer, aber auch wie heilsam es sein kann, wenn man sich mal wieder den Ritualen des Alltags überlässt.
So liest man dieses kleine Buch, das zu Recht auf der Longlist für den Buchpreis der Frankfurter Buchmesse steht, mit wachsender Begeisterung, ist man doch beglückt von der ersten Zeile an. Auch weil es eine Liebeserklärung an einen Vater ist, der nun mal so ist, wie er ist. Anders muss er nicht werden. Und seine Tochter auch nicht.
Dilek Güngör: Vater und ich.
Verbrecher Verlag 2021,104 Seiten, 19 Euro.
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