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Drama “A Very English Scandal” mit brillantem Hugh Grant

Ein zwischen bissiger Satire und Drama changierender Mehrteiler nach realen Ereignissen um Klassendünkel und Bigotterie, inszeniert von Stephen Frears und basierend auf einem realen Polit-Skandal aus den 1970ern.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

In den 1970er-Jahren knüpft Jeremy Thorpe, ein Mitglied des britischen Parlaments, eine homosexuelle Affäre zu einem jungen Stallburschen an, die er, da Homosexualität noch unter Strafe steht, tunlichst geheim hält. Als er seines Geliebten überdrüssig wird und den jungen Mann fallen lässt, stellt dieser Forderungen an den Politiker. Dieser steigt derweil zum Parteivorsitzenden auf, fürchtet zunehmend, als Homosexueller bloßgestellt zu werden, und initiiert ein Mordkomplott gegen den jungen Mann.

Ein zwischen bissiger Satire und Drama changierender Mehrteiler nach realen Ereignissen um Klassendünkel und Bigotterie, festgemacht an eindrucksvoll gespielten, differenzierten Charakteren und an einem facettenreichen Zeitbild Großbritanniens in den 1970ern. – Sehenswert ab 16.

Hugh Grant überrascht; ihm gelingt mit “A Very English Scandal” eine Häutung und die überzeugende Aneignung einer Rolle, die unter einer komödiantisch-satirischen Oberfläche einmal seine Befähigung zum Ernsten, ja Düsteren, Abgründigen schlagend unter Beweis stellt. Nach zaghaften Versuchen des Ausbruchs aus der Standardrolle des leichtlebigen Frauenschwarms und Sonnyboys brilliert er hier mit seiner Verkörperung des heuchlerischen Politikers und heimlichen Homosexuellen Jeremy Thorpe. Der Dreiteiler beruht auf wahren Begebenheiten aus dem Polit-Theater Großbritanniens der 1960er- und 1970er-Jahre.

England, zu Beginn der 1960er-Jahre: Die erste Folge zeigt die Kehrseite der Swinging Sixties – eine puritanische, graue Welt der gesellschaftlichen Anpassung und unterdrückten Begierden. In Westminster herrscht ein konservativer Politikstil vor, der jegliche sozialen Experimente scheut. Homosexualität steht unter Strafe. Gehört man jedoch zum Establishment oder gar zur Geld- und Bildungselite wie der aufstrebende Politiker der Liberalen Jeremy Thorpe, der die richtigen Schulen und Universitäten besucht hat, verbindet sich damit ein Gefühl universaler Bevorrechtigung, das alles erlaubt erscheinen lässt.

Thorpe ist schwul, haust als Junggeselle weiterhin bei seiner gestrengen Mutter Ursula (Patricia Hodge) und gönnt sich hin und wieder recht hemmungslose, so schnell angebahnte wie wieder gelöste Affären mit Männern unter seinem Stand. Den bleibendsten Eindruck hinterlässt Norman Scott (Ben Whishaw), ein ephebenhafter junger Stallbursche, in den er sich während einer länger währenden Beziehung ernstlich verliebt und dem er im Überschwang schwärmerische Briefe schreibt und allerlei Versprechungen macht. Als Thorpe, irgendwann milde gelangweilt und auch aus politischer Opportunität, die Verbindung abrupt löst, entwickeln sich die Dinge jedoch in eine fatale Richtung.

Die wiederholten Versuche Scotts, sich mit Thorpe in Verbindung zu setzen, lassen sich als bedrohliche Kompromittierung und Erpressung auffassen. Nicht zuletzt, da ihre erste Begegnung alle Züge einer veritablen Vergewaltigung trug, für die es durchaus Grund gäbe, sich an Thorpe zu rächen. Außerdem bekommt Scott chronisch sein Leben nicht auf die Reihe und steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Seine Weigerung, die Affäre mit Thorpe unter den Teppich zu kehren, ist aber ebenso Teil von Scotts ihm selbst nur halb bewusster Strategie, endlich einmal den Schleier von all jenen schwulen Heimlichkeiten und Unehrlichkeiten zu ziehen und den Wind gesellschaftlicher Veränderung Einzug halten zu lassen – denn trotz seiner Sensibilität hat der junge Mann ein erstaunlich mutiges, unverkrampftes Verhältnis zu seiner sexuellen Identität.

Während Thorpe später von ihm als “sick dog” spricht, infiziert mit dem “Virus” der Homosexualität, macht Scott selbst “die Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt” (Oscar Wilde) lustvoll und ohne Scham öffentlich und genießt seine “fifteen minutes of fame” (Andy Warhol).

“Auf der einen Seite handelt es sich um eine typisch englische Geschichte, aber es ist gleichzeitig auch ein universelles Drama: Es geht um korrupte Politiker und nicht standesgemäße Liebesaffären. Ich sehe in der Serie außerdem ein verzerrtes Liebesdrama. All die Emotionen und die Energie verkehren sich ins Gegenteil. Aus dem Wunsch zu lieben wird der Drang, sich gegenseitig zu zerstören. Auch das ist sehr universell”, so Ben Whishaw im Interview über “A Very English Scandal”.

Auch die Szenen im ehrwürdigen Gerichtsgebäude “Old Bailey” (Folge 3) erinnern an den legendären und infamen Prozess gegen Londons berühmtesten Schwulen Oscar Wilde, inklusive Freunden, die zu erbitterten Feinden werden, und jeder Form moralischer Heuchelei. So lassen sich alle drei Teile als Ganzes auch betrachten als Sozialgeschichte der Homosexualität in Großbritannien.

Dass Thorpe – mittlerweile aufgestiegen zum Parteivorsitzenden der Liberalen – schließlich gar wegen eines Mordkomplotts gegen seine ehemalige Flamme auf die Anklagebank gerät, hat er trügerischen Allianzen zu verdanken, die er als gewiefter Politiker nie hätte eingehen dürfen, sowie den allerorten geäußerten Todes- und Vernichtungswünschen gegenüber Scott: “Get him killed!”

Zum beklemmend-intensiven Schluss des “Königsdramas” um Aufstieg und Fall eines exemplarischen Englishman lässt sich noch einmal Hugh Grants ganze Kunst der Darstellung bewundern: Er flirtet mit Presse und Kamera (dabei zeigt sich für kurze Augenblicke etwas vom jungenhaften Verführer-Charme früherer Rollen), grimassiert grotesk oder lässt sein Gesicht zur Maske gefrieren, spricht Bände mit Blicken – ohne dass all dies übertrieben oder überchargiert geriete. Ein artistisches Strohfeuerwerk für Jeremy Thorpe – vor dem Sturz in den Abgrund.