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Dragqueen Olivia Jones über Leseförderung, Vielfalt und Toleranz

Dragqueen Olivia Jones ist mit dem Deutschen Lesepreis ausgezeichnet worden. Schon als Kind war für sie das Vorlesen wichtig. Würde eine Dragqueen Päpstin werden, würde Jones den Kindern auch aus deren Buch vorlesen.

Lesen und Vorlesen bekommen sind gerade für Kinder zentrale Beiträge zu ihrer geistigen Entwicklung. Umso wichtiger ist es da, dass das Vorlesen nicht ausstirbt, mahnt Olivia Jones. Die Dragqueen ist mit dem Deutschen Lesepreis ausgezeichnet worden. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt sie, was Lesen ihr persönlich bedeutet und sie gibt Handlungstipps für die Kirche.

KNA: Olivia Jones, Sie sind mit dem Deutschen Lesepreis ausgezeichnet worden, weil sie der Leseförderung eine laute Stimme geben. Woher kommt bei Ihnen die Leidenschaft für das Lesen?

Jones: Die Leidenschaft für das Lesen kommt bei mir aus der Familie. Ich habe nur die besten Erinnerungen daran, dass meine Oma und meine Mutter mir vorgelesen haben. Das sorgte für Geborgenheit. Das Schöne ist ja, wenn Menschen sich füreinander Zeit nehmen. Vorlesen ist etwas ganz besonderes. Da dies aber ausstirbt, freue ich mich umso mehr über diesen Preis. Gerade junge Leute verbringen viel Zeit vor dem Laptop oder surfen im Internet, aber Vorlesen wird leider Gottes immer weniger. Dabei ist es schön und wichtig.

KNA: Was sind Ihre Lieblingsbücher aus der Kindheit?

Jones: Rotkäppchen und der Wolf. Und das lustige ist, dass ich das jeden Abend hören wollte. Als Gute Nacht-Geschichte. Später kam dann Pippi Langstrumpf. Eine Person, die ich schon immer sehr bewundert habe, weil sie macht, was sie gerne machen möchte. Ich bin so etwas ähnliches – eine moderne Pippi Langstrumpf! Das zieht sich durch mein ganzes Leben.

KNA: Später als Erwachsener haben Sie selbst auch Bücher geschrieben, wie das Kinderbuch “Keine Angst in Andersrum – Eine Geschichte vom anderen Ufer” oder “Ungeschminkt. Mein schrilles Doppelleben”. Bücher, in denen das Thema Toleranz eine wichtige Rolle spielt. War der Schritt auf die andere Seite, die des Autors, schwierig für Sie?

Jones: Ich versuche immer, Unterhaltung mit Haltung zu machen und mich für meine Werte einzusetzen. Ich weiß aus eigener Erfahrung im Kindergarten und in der Schule, dass über Vielfalt, Toleranz und Queer nicht gesprochen wird. Gerade mit einem Kinderbuch lässt sich auf dem Gebiet eine Menge machen. Indem man auf eine lustige Art und Weise über Vielfalt spricht und Tipps gibt. Dabei kann man auch die Eltern an die Hand nehmen, so dass sie danach leichter mit ihren Kindern darüber sprechen können.

KNA: Sind Sie stolz, dass Ihr Engagement so angenommen wird? Seit einigen Jahren werden Sie mit dem Projekt “Olivia macht Schule” eingeladen. Sie lesen aus Ihrem Kinderbuch “Keine Angst in Andersrum” in Kindergärten und Schulen vor, diskutieren, halten Vorträge.

Jones: Ja, es macht mich stolz, dass mein Buch in vielen Kindergärten und Schulen, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, im offiziellen Kita-Koffer ist.

KNA: Was passiert denn, wenn ein Junge zu Ihnen sagt: ich kann damit überhaupt nichts anfangen? Geben Sie dem Kind diese Freiheit?

Jones: Natürlich. Jeder hat die Freiheit zu sagen, das ist jetzt nicht so meins. Aber es geht um Diskriminierung und um Mobbing. Ich weiß selbst, was Mobbing anrichten kann. Unter Jugendlichen ist Mobbing so eine Art Volkssport. Das hinterlässt Kratzer auf der Seele. Immer noch nehmen sich mehr queere Jugendliche das Leben als heterosexuelle Jugendliche. Das hat ja irgendwo seine Wurzeln. Dagegen versuchen wir als Olivia Jones Familie etwas zu machen. Mit “Olivia macht Schule” oder eben mit dem Kinderbuch.

KNA: Was genau ist Ihr Ziel?

Jones: Natürlich nicht “Olivia macht Schwule”. Niemand soll schwul werden. Es ist einfach gut, dass man darüber spricht und dass es normaler wird. Ich hätte mir das als junger Mensch gewünscht, dass man darüber spricht.

KNA: Eine Institution, die eine jahrhundertelange Erfahrung mit Mobbing besitzt, ist die Kirche. Oft diente besonders ein Buch als Grundlage: die Bibel. Wie kann oder soll man als queerer Mensch dieses Buch lesen?

Jones: Vieles in der Kirche sollte geändert werden, weil es nicht mehr zeitgemäß ist. Schlimm sind Hass und Ausgrenzung in der Kirche. Aber ich finde es schön, dass Menschen ihren Halt finden in der Bibel, in ihrer Religion. Gerade heute in der modernen Welt ist es wichtig, Zuversicht zu haben und einen Halt.

KNA: Bei welchen Themen sollte sich die Kirche Ihrer Meinung nach vor allem ändern?

Jones: Beim Umgang mit der eigenen Sexualität. Es ist furchtbar, dass manche Eltern ihre Kinder zur Kirche gegeben haben, in der Hoffnung, dass sie dort Geborgenheit finden, und dann kam es zu Missbrauch. Dem genauen Gegenteil von Geborgenheit.

KNA: Andere Wünsche?

Jones: Ich würde mich über eine weibliche Päpstin freuen. Das wäre ein gutes Zeichen. Vielleicht wird es irgendwann sogar eine Dragqueen.

KNA: Deren Buch lesen Sie dann auch im Kindergarten vor?

Jones: Natürlich! Vorlesen ist etwas Wunderbares. Wir müssen daran arbeiten, dass es nicht ausstirbt. Es ist etwas Tolles.