Knallbunte Röcke, traditionelle Blusen und ziemlich viel Make-up: Für die „Muxes“, Musches ausgesprochen, sind die alljährlichen Feiern im südmexikanischen Isthmus von Tehuantepec ein großes Schaulaufen. Auch in diesem November kamen wieder Tausende Trans-Frauen, um ihre neue Königin zu begrüßen und ausgiebig zu feiern – und zugleich auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen, der sie ausgesetzt sind. Denn die biologisch als Männer Geborenen gelten zwar in der Region im Bundesstaat Oaxaca als „drittes Geschlecht“ gesellschaftlich akzeptiert, tatsächlich erleben sie aber ständig Erniedrigungen. „Ich bin frei geboren, alles andere ist Poesie“, sagt Königin Elvis Guerra von der Bühne herab.
Das sieht Joselin Sosa ebenso. „Man sagt, hier sei das Paradies für Muxes, aber wir leben in der Hölle“, erklärt die 47-Jährige. Seit zehn Jahren ist die Trans-Frau HIV-positiv, und seither kämpft sie mit anderen Aktivistinnen dafür, dass sie und andere Infizierte nicht stigmatisiert werden und eine medizinische Versorgung bekommen. Früher arbeitete Sosa wie viele Trans-Frauen in der Gegend als Prostituierte, bereits in ihrer Jugend musste sie sich Männern verkaufen. „Damals war Aids gleichbedeutend mit dem Tod“, erinnert sie sich. Doch es war kein Freier, sondern ihr Freund, der sie später ansteckte. Zum Glück gab es da schon Medikamente, um mit der Krankheit zu leben.
Dennoch leidet sie wie viele andere Betroffene unter dem Spott ihrer Mitbürger. „Heute tötet dich nicht mehr die Krankheit, sondern die Intoleranz“, sagt Sosa. Auch die ärztliche und psychologische Betreuung sei katastrophal. In der Region gibt es nur ein medizinisches Zentrum, das sich speziell mit HIV-Infizierten und Aids-Kranken beschäftigt, im gesamten Bundesstaat mit seinen mehr als vier Millionen Einwohnern sind es drei. Zudem fehle es an Ärzten und Medikamenten, sagt Sosa. „Die Hälfte der Arbeit, die zu tun ist, übernehmen wir. Wir fahren aufs Land und reden mit den Betroffenen.“
Die wenigen Anlaufstellen in Oaxaca stehen im Gegensatz zu den 1.500 Zentren, die nach Angaben der Regierung insgesamt im Land existieren. Besonders in den indigenen Gemeinden und anderen marginalisierten Regionen müsste mehr getan werden, räumt Alethse de la Torre ein, die Präsidentin des Nationalen Zentrums für Prävention und Bekämpfung von HIV/Aids.
Im Jahr 2022 gab es in Mexiko nach UN-Zahlen geschätzt 370.000 Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert waren, das sind etwa viermal so viele wie in Deutschland, wo ein Drittel weniger Menschen leben. Auch das Risiko zu sterben, ist deutlich höher: Während die Sterberate in Deutschland bei 0,3 Prozent liegt, überleben 3,7 Prozent der infizierten Mexikaner die Krankheit nicht. Bei 40 Prozent davon liegt es daran, dass sie nicht krankenversichert sind und nicht adäquat behandelt wurden.
Auch Deysi Lobo muss ständig darum kämpfen, an ihre Arzneimittel zu kommen. Die 37 Jahre alte Trans-Frau lebt mit ihrem Partner in einer ärmlichen Hütte am Rande der Stadt San Blas Atempo. Dort schlagen sich die beiden mit dem Ernten von Mangos und anderen Gelegenheitsjobs durch. Auch Lobo arbeitete früher als Prostituierte. Seit sechs Jahren nimmt sie Medikamente. Doch das Behandlungszentrum ist weit entfernt. Das Motorradtaxi, den Bus und die Spesen kann sie sich kaum leisten. „Manchmal bin ich einfach nicht hingefahren, oder ich musste mir Geld leihen“, erklärt sie. Aber eigentlich bittet sie ungern jemanden um Hilfe. Sie will nicht, dass alle wissen, dass sie mit dem Virus infiziert ist.
Viele Muxe in der Region sind wie Deysi Lobo sowohl der Stigmatisierung als Trans-Personen als auch als HIV-Positive ausgesetzt. 28 Prozent der Befragten einer Erhebung des staatlichen Statistischen Instituts haben in Oaxaca „null Akzeptanz“ für HIV-Infizierte, 11 Prozent der Mexikaner würden Trans-Personen keine Arbeit geben. Auf diese doppelte Diskriminierung will nun das staatliche Versicherungssystem (IMSS) hinweisen. Es sucht derzeit eine Drag Queen, die die geplante Kampagne zur Aids-Prävention als Botschafterin bewerben soll.