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Dokumentarfilm über den Abschied vom Bergwerk: Wir waren Kumpel

Doku über fünf sehr unterschiedliche Bergleute, die mit dem Ende des Steinkohlebergbaus in Ostwestfalen klarkommen müssen.

Noch eine letzte Seilfahrt hinunter in den Schacht. Ein letztes Mal setzen “Locke” und “Langer”, wie sich Wolfgang und Marco nennen, die Grubenhelme auf. Einmal noch geht es im Förderkorb in die Tiefe. Hinterher reiben sie sich unter der Dusche gegenseitig den Kohlenstaub von der Haut. Die beiden sind “Kumpel” im doppelten Wortsinn. Seit vielen Jahren treffen sie sich vor der Schicht auf einem Parkplatz, um dann gemeinsam zur Zeche zu fahren. Als sie nun das letzte Mal das Bergwerk verlassen, rät Langer seinem Freund fast beiläufig: “Nicht umdrehen!”

Ein letztes “Glück auf!”. Für Thomas, der als ewiger Junggeselle in einer kleinen Wohnung bei seiner Mutter lebt, bildete die geflieste Kaue im Bergwerk, in der er Kleidung und Schutzausrüstung an Besuchergruppen verteilte, das Zentrum seines sozialen Lebens. “Du schaffst das auch ohne Zeche”, machen die Kollegen ihm Mut.

Etwa 45 Minuten läuft der Dokumentarfilm von Christian Johannes Koch und Jonas Matauschek schon, ehe der Titel “Wir waren Kumpel” eingeblendet wird und eine Zäsur markiert. In der zweiten Hälfte richten die beiden Filmemacher den Blick nach vorn und begleiten die fünf Protagonistinnen und Protagonisten in ihrem neuen Alltag. Neben Thomas, Locke und Langer sind das noch Martina und Kiri.

Martina fuhr einst als Bergmann unter Tage, ehe sie sich entschloss, so nicht weiterleben zu wollen und zur einzigen Frau im deutschen Steinkohlebergbau wurde. “Keine Ahnung”, sagt sie, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie den Schritt schon früher gewagt hätte. Vielleicht besser, freier, bestimmt aber in einem anderen Beruf. Mittlerweile ist der Bergbau jedoch ein Teil von ihr geworden; ihre neue Arbeitsstelle findet sie in einem Salzbergwerk.

Kiri floh als Jugendlicher vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka und fand im Bergbau in Deutschland eine neue Heimat. In zwanzig Jahren habe er nur drei Mal nach Sri Lanka telefoniert: “Das sagt schon alles.” Mit der Schließung der Zeche aber bricht das soziale Netzwerk des zweifachen Vaters zusammen. Als er dann auch noch einen Herzinfarkt erleidet, steht er plötzlich vor den Scherben seiner Existenz. Seine Jugend in Sri Lanka, die er all die Jahre verdrängt hat, “kommt wieder hoch”. Mit einem Mal fühlt er sich fremd in Deutschland und überlegt sich, ob er seinen Kindern seine alte Heimat zeigen soll. Oder ob das für sie vielleicht gar keine Rolle spielt.

Thomas scheint nach dem Ende des Bergbaus kaum noch aus der Wohnung zu kommen. Unter den liebevoll prüfenden Blicken seiner Mutter feudelt er Regale ab oder bereitet das Essen zu, das sie nebeneinander in ihren Sesseln verzehren. Wenn es ihm drinnen zu eng wird, zieht er sich zum Rauchen auf den Balkon zurück oder ruft einen Kumpel an, meistens vergeblich. Als er einen Kochkurs besucht, wagt er einen ersten vorsichtigen Schritt in ein neues Leben.

Dem “Langen” scheint der Übergang hingegen leichtzufallen. Im Gegensatz zu Locke hat er als Schulbusfahrer schnell eine erfüllende Tätigkeit gefunden. Die Vorstellung, dass die Kinder ihn brauchen, gibt ihm Halt. Eher widerwillig lässt er sich von Locke zu einem Ferientrip mit dem Wohnmobil an den französischen Atlantik überreden. Als die Straße zwischen einem Kohlenmeiler und Windrädern hindurchführt, scherzt er: rechts die Vergangenheit und links die Zukunft.

Vielleicht sind es Momente wie dieser, an die Koch und Matauschek denken, wenn sie in ihrem “Regie-Statement” erklären, dass sie mit den Protagonistinnen und Protagonisten in “einen Reflexionsprozess treten” wollten, “der erst durch das Ende ihres Arbeitsverhältnisses im Steinkohlebergbau möglich” wurde. Ebenso engagiert wie ambitioniert dozieren sie über “Mythen” einer Männerwelt oder die “Emanzipation von Rollenbildern”. Dabei verfallen sie in einen akademisch-belehrenden Duktus, von dem im Film selber glücklicherweise kaum etwas zu spüren ist.

Stattdessen verschwinden die Filmemacher vollkommen hinter der Kamera. Kommentarlos lassen sie ihre Figuren für sich selbst sprechen, begleiten sie wie die “Fliege an der Wand” im Badezimmer, am Familientisch, im Wohnmobil. Die Auswahl der Personen dürfte dabei alles andere als repräsentativ für Bergleute sein. Aber gerade das macht den Reiz des Films aus, der nie den Eindruck erweckt, exemplarisch sein zu wollen.