Zwischen Flüchtlingshilfe, Wohlfahrtsverbänden und den für Integrations- und Flüchtlingsfragen zuständigen Behörden in Rheinland-Pfalz hängt einmal mehr der Haussegen schief. Jüngstes Aufreger-Thema ist die mit dem etwas eigenartigen Begriff „Tischabschiebung“ bezeichnete Praktik mancher Ämter: Sie bestellen Ausländer ohne geregeltes Aufenthaltsrecht unter einem Vorwand ein, um sie vor Ort festnehmen zu lassen und zur Abschiebung oder in Abschiebehaft zu bringen. Dabei wurden – ohne deren Wissen – auch Beratungsstellen eingespannt.
Es war ein Fall aus Neuwied, der für öffentliches Aufsehen sorgte. Olga Scott vom örtlichen Caritas-Verband hatte einen Mann aus Ägypten betreut, der zu einem Termin bei der Ausländerbehörde geladen worden war. Überzeugt davon, es würde um Wege gehen, dessen Aufenthalt zu regeln, damit er das Ausbildungsangebot eines Krankenhauses hätte annehmen können, hatte sie ihm zu dem Besuch geraten. Statt eines gesprächsbereiten Sachbearbeiters warteten in der Amtsstube Polizisten auf den Mann. Scott fühlt sich ausgenutzt: „Ich habe bis zu diesem Vorfall fest daran geglaubt, dass das nicht möglich ist.“
Auch der Initiativausschuss für Migrationspolitik, ein Netzwerk von Migranten- und Flüchtlingshilfe-Organisationen mit Sitz in Mainz, sieht Belege dafür, dass in Rheinland-Pfalz derzeit vor allem die „Schlagzahl“ bei den Abschiebungen im Fokus steht. Die Verantwortlichen hätten sich insgeheim von der ursprünglichen Linie verabschiedet, Ausreisepflichtige – wo immer irgendwie möglich – zu einer „freiwilligen Ausreise“ zu bewegen, bedauert Geschäftsführer Torsten Jäger. „In Rheinland-Pfalz ist das Verhältnis gekippt zugunsten von Abschiebungen.“
Hatte das Land einst einen bundesweiten Spitzenplatz im Verhältnis von geförderten freiwilligen Ausreisen und Abschiebungen, so verzeichnet es jetzt besonders starke Zuwächse bei den Abschiebezahlen: 2024 gab es 884 Fälle. Mit einer Zunahme um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr fiel der Anstieg fast doppelt so hoch aus wie im Bundesdurchschnitt. Dabei sind sich eigentlich alle Beteiligten einig: Selbst wenn abgelehnte Asylbewerber für eine Ausreise eine staatliche Förderung erhalten, ist dies immer noch deutlich kostengünstiger als die Betroffenen abzuschieben – von den Folgen für die Menschen ganz abgesehen.
„Wir werden unsere humanitär ausgerichtete Flüchtlingspolitik fortsetzen“, hatte die Mainzer Ampel-Koalition noch 2021 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. „Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, geflüchteten Menschen in Not zu helfen und ihnen Schutz zu bieten.“ Für das zuständige Mainzer Integrationsministerium gilt das weiter. Es verweist auf Nachfrage darauf, dass etwa die Mittel für Sprach- und Integrationsförderung und für die Betreuung traumatisierter Flüchtlinge kontinuierlich angehoben worden seien.
Manche in der Flüchtlingshilfe blicken fast schon nostalgisch zurück auf die Amtszeit der früheren Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne). Die hatte den für Abschiebungen zuständigen Kommunen immer wieder ins Getriebe gegriffen und sich für einzelne Schicksale eingesetzt, selbst um den Preis massiver Anfeindungen in den Landratsämtern. Inzwischen habe man den Eindruck, dass das Land sich nicht mehr wirklich für das Thema Abschiebungen interessiere und die Kommunen einfach machen lasse.
Der Weg für von Abschiebung bedrohte Menschen zur Härtefallkommission ist nach einer Reform des Gremiums auch immer häufiger verbaut, stellt Torsten Jäger bedauernd fest: „Die Härtefallkommission ist kein korrigierendes Element mehr.“ Ebenfalls wurde die einstige Regelung zu Afghanen abgeschafft, bei denen jede einzelne Abschiebung dem Ministerium vorab vorgelegt werden musste. Offiziell heißt es, dass nach der Rückkehr der Taliban an die Macht ohnehin kaum noch jemand in das Land ausgeflogen werden könne.
Zur Praxis der „Tischabschiebungen“ hat das Integrationsministerium hingegen eine klare Meinung. Zwar sei dieses Vorgehen prinzipiell rechtmäßig. Dennoch stelle die Einbestellung unter einem Vorwand „kein geeignetes Mittel der Wahl zur Durchführung von Aufenthaltsbeendigungen dar“. Auch Olga Scott von der Caritas in Neuwied hofft, dass die Ausländerbehörde zu einem normalen Miteinander zurückfindet. „Es bringt ja nichts, sich zu bekriegen“, sagt sie. „Am Ende haben wir dieselben Gesetze und dieselben Klienten.“ Die Kreisverwaltung Neuwied ließ mehrere Anfragen zu dem Fall unbeantwortet.