Predigttext am 16. Sonntag nach Trinitatis: Klagelieder 3,22–26.31–32
Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.
Von Brigitte Koppehl
„Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind.“ Der erste Vers des Predigttextes gibt den Ton an: Jerusalem liegt in Trümmern, alles ist wüst und öde (Klagelieder 1, 1.4). Auch der Klagende selbst ist hart getroffen und kennt Schmerz und Leid allzu gut (3,1ff.). Trotzdem gibt er sich kämpferisch: Es ist nicht aus, wir sind noch da und wir leben! Denn seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende: Auch wenn die Situation den Gedanken nahelegt, dass Gott sich seiner Welt nicht mehr erbarmt und uns feindlich gesinnt ist (2,2.5), setzt er trotzig fort: Gott ist barmherzig. Und das nicht nur einmal.
Jeden Morgen ist die Barmherzigkeit Gottes aufs Neue da (3,23). Sie lädt dazu ein, mit den Worten von Johannes Zwicks, Kirchenliederdichter und Reformators in Konstanz, einzustimmen:
„All Morgen ist ganz frisch und neu / des Herren Gnad und große Treu; / sie hat kein End den langen Tag, / drauf jeder sich verlassen mag.“
Und so stellen die Verse des Predigttextes inmitten der Klagen über das verwüstete Jerusalem eine unerwartete Atempause dar. Es entsteht ein Moment voller Hoffnungsschimmer. Es ist aber kein blauäugiger Optimismus, der jegliches Leid ausblendet (3, 31f.). Die Hoffnung ist trotzig.
Während Optimismus keines Grundes bedarf, ganz wirklichkeitsfern sein kann, brauchen die Hoffenden allerdings eben dies: eine Begründung, auf der ihre Hoffnung beruht. So stellt es der englische Literaturtheoretiker Terry Eagleton in seinem Buch „Hope without Optimism“ dar. Eagleton unterscheidet Hoffnung von Optimismus und Wunsch, indem er einerseits auf die Begründbarkeit der Hoffnung verweist, andererseits auf das, was aus der Hoffnung entspringt: das aktive Bekenntnis zur Realisierung des Erhofften. Hoffen verlange dir etwas ab, Wünschen sei gratis.
Der Verfasser des Predigttextes sieht seine Hoffnung begründet in der Barmherzigkeit und Treue Gottes, die er jeden Morgen spürt. Diese Hoffnung stärkt ihn, auch wenn sie das Leid nicht verschwinden lässt: Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen. Er wartet nicht auf Gottes Hilfe, er hofft darauf. Ich auch.
Wenn ich die Welt in Trümmern sehe; den Planeten durch den Klimawandel bedroht, wieder öde und wüst zu werden – dann hoffe ich auf die Hilfe Gottes. Und diese Hoffnung verpflichtet mich zur Handlung. Der Hoffnungsschimmer am Morgen, der frisch und neu ist, setzt Kräfte frei. Es gibt genug zu beklagen auf der Welt. Es ist aber Gott sei Dank nicht aus. Wir sind noch da und wir hoffen!