Die Ereignisse in Köln in der Silvesternacht 2015/16 haben die politische Debatte über den Umgang mit Geflüchteten geprägt. Doch gilt das auch für das freiwillige Engagement für Schutzsuchende?
Empfangskomitees an Bahnhöfen, Spendenstationen, Patenschaften: Im Sommer 2015 erreichte das Engagement für Geflüchtete in Deutschland ungeahnte Höhen. Doch schon im Jahr darauf wurden Stimmen gegen die Aufnahme von Schutzsuchenden sehr laut. Bei manchen Engagierten machte sich Ernüchterung breit, der Einsatz flaute ab. Lag das an der “Kölner Silvesternacht” vor zehn Jahren, als Hunderte Frauen vor dem Dom und dem Hauptbahnhof Opfer von sexuellen Übergriffen und Diebstählen wurden?
Generell sei eine Veränderung des Engagements für Geflüchtete über die Zeit schwierig zu messen, sagt der Mannheimer Migrations- und Integrationssoziologe Marc Helbling. “Man kann sich ja nur engagieren, wenn es auch eine Möglichkeit dafür gibt.” Das sei 2015 der Fall gewesen, als plötzlich viele Schutzsuchende nach Deutschland kamen.
Relativ genau könne hingegen erfasst werden, wie sich die Einstellung gegenüber Migration und Geflüchteten entwickele, erklärt Helbling. Sie sei über Jahrzehnte relativ stabil geblieben. “Ob man eine positive oder negative Einstellung hat, hat potenziell einen großen Einfluss darauf, ob sich Menschen engagieren.” Umfragen zeigten, dass einzelne Ereignisse wie die “Kölner Silvesternacht” oder auch Terroranschläge durchaus die Haltung beeinflussen könnten. “Allerdings ist dieser Effekt überschaubar und meist auch nur kurzfristig zu beobachten, quasi als Ausreißer.”
Bei den Johannitern haben sich die Ereignisse in Köln am Jahreswechsel 2015/16 denn auch nur wenig auf das freiwillige Engagement ausgewirkt: “Kurzzeitig war eine stärkere Verunsicherung bei den Helferinnen und Helfern zu spüren”, sagt die Leiterin für Krisenmanagement und Nothilfe, Anne Ernst, die 2015 noch Leiterin der Flüchtlingshilfe der Hilfsorganisation war.
Ehrenamtliche hätten sich Fragen gestellt wie: Wie nah bin ich eingebunden? Bin ich alleine mit Geflüchteten? Die Johanniter rückten damals ihre Sicherheits- und Schutzkonzepte noch einmal stärker in den Vordergrund. Besuche bei Geflüchteten fanden zum Beispiel nur noch im Team statt, um alle Beteiligten bestmöglich zu schützen.
Generell habe das Engagement im Laufe des Jahres 2016 und danach natürlich abgenommen, sagt Ernst. “Das ist auch normal nach solchen Situationen. Das haben wir auch bei der Hilfe nach der Ahrtal-Flut und für die Geflüchteten aus der Ukraine gemerkt.” Manche Menschen wollen oder können sich nur kurzfristig engagieren. Dann gerate das Thema in den Hintergrund, auch Erschöpfung könne irgendwann ein Grund sein. Dort, wo freiwilliges Engagement gut durch hauptamtliche Strukturen unterstützt werde, könne man es aber auch langfristig organisieren.
Der Deutsche Freiwilligensurvey aus diesem Jahr zeigt derweil, dass das Engagement für Geflüchtete zuletzt sogar zugenommen habe. Laut der Studie im Auftrag der Bundesregierung hatten sich 2024 von allen Engagierten 28 Prozent in den vergangenen fünf Jahren für Geflüchtete eingesetzt. 2019 waren es 24 Prozent gewesen. Besonders Menschen mit Migrationshintergrund engagierten sich demnach häufiger in diesem Bereich.
Der Anstieg passt zur Statistik des Deutschen Spendenrats, der seit 2016 mit einer Umfrage ermittelt, wie viel Geld die Deutschen für Geflüchtete spenden. Danach erreichte die Summe 2022 – mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – mit 1,13 Milliarden Euro mit Abstand den Höhepunkt. 2016 spendeten die Deutschen 488 Millionen Euro für die Hilfe für Geflüchtete, und 2024 waren es nur 418 Millionen Euro.
Auch der Ausnahmewert für 2022 lässt sich erklären: Viele Befragungen der vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass die Einstellungen gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine grundsätzlich positiver gewesen seien als zum Beispiel gegenüber Syrern und Afghanen, die 2015/16 verstärkt Schutz suchten, sagt Soziologe Helbling. “Wir wissen aus der Forschung, dass gewisse Gruppen grundsätzlich bevorzugt werden: Menschen aus Europa, Christen, Frauen, höher Gebildete.” Was wie eine Beschreibung der ukrainischen Geflüchteten klingt.