„Es ist ein Ort protestantischer Sozialgeschichte. Und zugleich einer der Demokratiegeschichte.“ So charakterisiert Volker Jastrzembski, was den Komplex aus Backsteingebäuden in Berlin-Mitte, der sich über mehrere Höfe von der Borsigstraße 5 bis zur Tieckstraße 17 erstreckt, ausgezeichnet hat. Wo sich heute ein evangelisches Studentenwohnheim befindet, das Jastrzembski leitet, bestand von 1950 bis zum Ende der DDR das sogenannte Sprachenkonvikt, eine der ungewöhnlichsten Studienstätten der evangelischen Kirche. Aber die Geschichte des Baukomplexes beginnt bereits im 19. Jahrhundert.
Unterstützt von Jastrzembski ist die Historikerin Martina Voigt dieser 145 Jahre alten Geschichte nachgegangen. Sie hat sie unter dem Motto „Schutz – Freiraum – Aufbrüche“ mit der Grafikerin Gabriele Dekara auf 13 Tafeln festgehalten, die demnächst im Durchgang zum zweiten Hof als Dauerausstellung aufgehängt werden.
Zuerst Kinder- und Frauenheim, dann Studentenheim
Auf der einen Seite werden die Stationen der Nutzung vorgestellt: zu Beginn das Kinderheim Zoar und die Marienheime für alleinstehende Frauen. Ins Leben gerufen hat sie das Bankiersehepaar Loesche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Linderung der Not in der Zeit der Industrialisierung. Nach dem Ersten Weltkrieg zog bereits ein evangelisches Studentenwohnheim ein. In der NS-Zeit waren die Gebäude Teil der im Verborgenen organisierten Pfarrerausbildung der Bekennenden Kirche, um von staatlicher Einflussnahme und Ideologie frei zu sein. Auf diesem Erbe gründend fand ab 1950 dann das Sprachenkonvikt hier Aufnahme, zunächst als Ort der Vermittlung der Bibelsprachen Latein, Griechisch und Hebräisch, ab 1960 als vollwertige Ausbildungsstätte für Evangelische Theologie.
Nach dem Ende der DDR wurde hier ein evangelisches Studentenwohnheim eingerichtet für gut 100 Studentinnen und Studenten aller Fachbereiche, Länder und Religionen. Ausdrücklich auch für diese ist die Ausstellung erarbeitet worden, weshalb die Texte jeweils in deutscher und englischer Fassung zu lesen sind. Dass dadurch weniger Bildmaterial untergebracht werden konnte, hat bei Martina Voigt, die als Kuratorin hauptverantwortlich für die Ausstellung ist, ein wenig Wehmut hinterlassen.
Ausstellung mit vielen originellen und humorvollen Dokumenten
Dennoch: Was an Fotos, Dokumenten, auch studentischen Karikaturen des Lehrkörpers und des Studienbetriebes zu sehen ist, ist aussagestark, originell und durchaus humorvoll und unterhaltsam. Das zeigt insbesondere auch der Teil der Ausstellung, der sich dem Leben, Lernen und Arbeiten am Sprachenkonvikt unter sechs Aspekten widmet. Da sind Dozenten in Vorlesungen und bei wissenschaftlichen Symposien zu sehen, Studenten beim Mittagessen und auf der nicht mehr bestehenden Dachterrasse.
Aber auch bei Ausflügen und bei einer Trauung, bei der die Kostümierung zum Konflikt mit dem Staat führte. Gastdozenten aus Westberlin und der BRD, ebenso ein Student aus den USA veranschaulichen die in diesem kleinen Refugium unabhängiger Lehre und Forschung praktizierten, über die Grenzen der DDR hinausreichenden Kontakte. Berichte staatlicher Behörden über das Konvikt und eine von den Studenten zu unterschreibende Schweigeerklärung bei Anwerbeversuchen durch den Staatssicherheitsdienst deuten den Rahmen an, in dem sich hier alles abgespielt hat.
Prominente Bewohner im Konvikt
Dann sind da die Fotos von Kunstperformances, die im Sprachenkonvikt und in anderen kirchlichen Räumen stattfanden. Mit dabei Thomas Krüger, heute Präsident der Bundezentrale für politische Bildung, der mit einem anderen Studenten, Michael Kölbel, auch die subversive Zeitung „Abtreter“ anfertigte – Belege für die kreative und in die Subkultur offene Haltung am Sprachenkonvikt.
Den Abschluss bildet unter dem Titel „Revolutionärer Mut und Protest“ eine Tafel, die an die Beteiligung von Studenten und Dozenten des Sprachenkonvikts wie Wolfgang Ullmann, Markus Meckel und Stephan Bickhardt am Wandel der DDR gegen Ende der 1980er Jahre und an den Versuch der Neugestaltung des wiedervereinigten Landes erinnert. Und damit daran, wie hier aus dieser Art des ideologiefreien offenen Denkens und Debattierens Impulse für politisches und gesellschaftliches Handeln entstanden sind.
Ausstellung ist Wolf Krötke gewidmet

Gewidmet ist die Ausstellung dem Theologen und Professor für systematische Theologie an der Humboldt Universität zu Berlin, Wolf Krötke, der im Juni dieses Jahres gestorben ist. Er hatte sich ab 1990 um den Erhalt dieses Ortes als evangelisch geprägten und getragenen Raum verdient gemacht hat.
Sollten einstige Studenten zur Eröffnung der Ausstellung am 14. Oktober kommen, werden sie sich an vieles erinnern. Gewiss auch daran, was hier möglich war, nämlich, wie es Volker Jastrzembski ausdrückt, „um die Ecke und anders zu denken“. „