Geschichten gehören zur Adventszeit wie Kerzen und Zimtgebäck. Das Buch „Superfood Bibelgeschichten“ vom Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau bietet eine ganze Reihe davon zum Vorlesen oder Nacherzählen – zum Beispiel die vom Kornwunder des Heiligen Nikolaus.
Nikolaus ist Bischof von Myra. Das ist eine Stadt am Mittelmeer, die heute Demre heißt und zur Türkei gehört. Es gibt noch viele andere Geschichten, die über Bischof Nikolaus erzählt werden. Die Geschichten stehen nicht in der Bibel. Sie sind erst viele Jahre später entstanden.
Es war eine schlimme Zeit in Myra. Es hat lange nicht geregnet. Die ganze Ernte war vertrocknet. Menschen und Tiere waren Tag und Nacht hungrig. In dieser Zeit war Nikolaus dort Bischof. Das war lange, nachdem Jesus gelebt hatte, und es gab schon viele christliche Gemeinden. Sie fanden sich zusammen, um die Geschichten aus der Bibel zu erzählen, auch die von Jesus.
Nikolaus macht sich auf den Weg zur Kirche in Myra. Er kommt am Hafen vorbei und sieht drei große Schiffe dort liegen. Sie sehen prächtig aus. Die Segel sind strahlend weiß, und das Holz glänzt in der Sonne. Er bleibt stehen und bestaunt sie eine Weile. Dabei sieht er, wie tief der Schiffsbauch bei allen drei Schiffen im Wasser liegt. Er fragt sich: Womit sind die wohl so voll beladen?
Da sieht er den Kapitän an Land kommen. Er geht zu ihm und sagt: „Willkommen in Myra.“
„Eine wunderschöne Stadt, wie mir scheint“, erwidert der Kapitän.
„Wohin geht die Reise? Ich sehe, eure Schiffe sind schwer beladen.“
„Wir sind auf dem Weg in die Hauptstadt. Wir gehören zur Flotte des Kaisers und haben Getreide für ihn geladen.“
„Was! So viel Getreide! Alle drei Schiffe sind bis zum Rand voll?“ Nikolaus kann es gar nicht fassen: „Wisst ihr, dass bei uns großer Hunger herrscht? Die ganze Ernte ist ausgefallen. Wir haben auch keine Vorräte mehr. Können wir Getreide bei euch kaufen?“
„Das geht auf keinen Fall. Wenn auch nur ein Gramm der Ladung fehlt, lässt mich der Kaiser ins Gefängnis werfen.“ Der Kapitän verabschiedet sich schnell und geht weiter.
Nikolaus muss auch weitergehen und sich beeilen. Gleich fängt der Gottesdienst an. In einem kleinen Raum im Eingang der Kirche zieht er sich dafür an. Er ist der Bischof und trägt einen rotgoldenen Umhang und eine hohe glänzende Mütze. Zuletzt nimmt er seinen Bischofsstab in die Hand und geht langsam durch den Mittelgang zum Altar. Viele Menschen sind gekommen. Sie sehen abgemagert und elend aus. Trotzdem singen sie aus voller Kehle mit. Nach dem Singen nimmt Nikolaus die große Bibel vom Altar und liest daraus vor:
„Glücklich die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erfahren.“
Er sieht allen ins Gesicht und erkennt noch mehr als vorher, wie abgemagert und elend sie sind. Das Herz tut ihm weh. Er legt die Bibel zurück auf den Altar und sagt: „Das sind die Worte von Jesus für uns heute. Was soll ich euch dazu sagen? Wenn ich doch Brot hätte für euch und eure Kinder. Betet mit mir, dass uns geholfen wird:
Gott*Ewige, wir sind am Ende.
Wir brauchen Hilfe.
Wo werden wir sie finden?
Hilf uns.“
Alle rufen sehr laut: „Hilf uns.“
Dann singen sie noch einmal, und zum Schluss segnet Nikolaus sie mit erhobenen Armen.
Auf dem Heimweg kommt Nikolaus wieder am Hafen vorbei und sieht die voll beladenen Schiffe. „Was könnte ich nur tun? Wie könnte dem Kapitän das Herz für unsere Not aufgehen?“ Er bleibt im Hafen und zerbricht sich den Kopf. Allmählich wird es dunkel. Der Kapitän kommt wieder vom Schiff. Da hat Nikolaus plötzlich einen Einfall. Er geht zu ihm und fragt: „Darf ich Euch unsere schöne Stadt zeigen?“ Der Kapitän zögert erst, aber dann geht er mit Nikolaus los.
Nikolaus zeigt ihm die Kirche und das große Theater. Der Kapitän ist beeindruckt. Danach gehen sie durch die Straßen. Immer wieder ist Weinen aus den Häusern zu hören. Der Kapitän fragt: „Was ist denn hier los? Warum weinen hier so viele?“
„Hier haben alle schon Bauchweh vor Hunger“, erklärt Nikolaus ihm. „Wir wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll.“
Eine Frau kommt auf sie zu. Sie ist wütend auf Nikolaus und fährt ihn an: „Was geht ihr hier spazieren! Meine Kinder verhungern. In unserer Straße hat niemand mehr etwas zu essen. Noch drei Tage, und wir sind alle tot.“ Der Kapitän will schnell weg, das hält er nicht aus. Nikolaus redet kurz mit der Frau, aber sie lässt sich nicht beruhigen. Was soll er ihr auch sagen, wie soll er ihr Mut machen? Er weiß auch nicht, was er tun kann.
Die beiden Männer gehen zum Hafen zurück.
Als sie bei den Schiffen ankommen, sagt der Kapitän plötzlich:
„Hol ein paar Männer! Sie sollen uns helfen, Säcke mit Getreide an Land zu bringen.“
„Und was ist mit der Bestrafung durch den Kaiser, die euch droht?“ Nikolaus ist ganz fassungslos.
„Wenn ich dem Kaiser von eurem Elend berichte, muss das auch sein Herz erweichen. Ihr gehört doch auch zu seinem Reich. Ich gebe euch so viel, wie ihr bis zur nächsten Ernte braucht.“
„Wir können auch dafür bezahlen“, sagt Nikolaus.
„Darüber reden wir morgen. Jetzt packen wir erst einmal an.“
Noch in der Nacht laden Nikolaus und seine Helfer das Getreide ab. Sie füllen es in kleine Säcke und stellen heimlich einen vor jede Haustür. Am nächsten Morgen ist die Überraschung groß.
„Wo kommt das denn her?“, fragen sich alle und holen ihren Sack schnell ins Haus. Sie sind so erleichtert, mahlen das Korn und backen Brot. Bald duftet es überall in der Stadt nach frischem Brot. Niemand hat herausgefunden, wo das Getreide hergekommen ist.
Nikolaus geht noch einmal zum Hafen. Er will sich bei dem Kapitän bedanken und sich verabschieden. Sie stehen nebeneinander auf der Hafenmauer und sehen auf die Schiffe. „Siehst du das auch, Nikolaus? Die Schiffe liegen noch genauso tief im Wasser wie gestern. Es scheint kein Gramm zu fehlen. Wie kommt das nur?“
„Das kann ich mir auch nicht erklären. Aber was ich weiß: Ihr habt uns Korn gegeben, und jetzt nehmt ihr unsere ganzen Sorgen mit.“