Im glaubenskonservativen Spektrum der evangelischen Kirche gibt es eine Kontroverse darüber, welchen Kurs evangelikale Christen verfolgen sollen. Anlass sind Äußerungen von Michael Diener, Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und Ratsmitglied der EKD, in einem Interview zur Haltung der evangelikalen Bewegung zur EKD, zu Homosexualität und zu Mission. Vizepräsident Thies Gundlach vom EKD-Kirchenamt weist im epd-Gespräch den Vorwurf zurück, in der evangelischen Kirche würden Irrlehren vertreten.
• Wie bewerten Sie die Auseinandersetzung unter evangelikalen Christen?
Ich habe eine Art Déjà-vu-Erlebnis; in den 80er Jahren gab es schwere Auseinandersetzungen zwischen den Evangelikalen und vielen anderen Christen um die Fragen zur theologischen Bedeutung und Bewertung von Homosexualität. 30 Jahre später steigen die gleichen Akteure mit den gleichen Argumenten noch einmal in den Ring und sehen wieder den Glauben in Gefahr. Die Schärfe dieser Intervention heute lässt mich vermuten, dass sich darin auch viel Enttäuschung ausdrückt, weil der damalige Kampf doch letztlich vergeblich war.
Eine differenzierte Sichtweise der Bibel und das Wissen um die Vielfalt der Auslegungswege sind damals wie heute nicht mit Machtworten der Eindeutigkeit oder mit Beschwörung von Bekenntnistreue vom Tisch zu wischen.
• Wie ist der Streit über die Wahrheitsfrage stattdessen auszutragen?
Die Bibel ist Gottes Wort Jesus Christus, aber dieses Wort ist in die Welt zum Menschen gekommen und bedarf darum der menschlichen Kunst der Auslegung. Und haben wir in unserer Kirche dafür nicht längst eine andere Art von Diskurs erreicht: Suchend nach dem jeweiligen Wahrheitsmoment des anderen, fragend nach der bleibenden Gemeinschaft in allen Unterschieden, hoffend auf eine Zuversicht, die ebenso selbstkritisch und reflektiert wie bibeltreu und bekenntnisstark ist?
Ich bedaure den nun von manchen angeschlagenen scharfen Ton, denn mit Michael Dieners Wahl in den Rat der EKD ist doch sichtbar geworden, dass die EKD sehr offen ist für unterschiedliche Frömmigkeitsstile.
• In seiner Kritik an Diener fordert der langjährige CVJM-Generalsekretär Ulrich Parzany „entschiedenen Widerstand gegen die Irrlehren“, die in den evangelischen Kirchen vertreten und gefördert würden. Er regt zum Reformationsjubiläum 2017 einen bundesweiten „Bekenntnistag“ an, der zur Orientierung der Christen beitragen und gegen bibelkritische Tendenzen in den Kirchen Position beziehen soll. Was entgegnen Sie auf den Vorwurf der Irrlehre?
Der Vorwurf von Ulrich Parzany ist doch weder neu noch zutreffend; ich sehe allerdings mit Kummer, wie schwer es diesem großartigen Prediger fällt, jenseits seiner eigenen Überzeugungen anderes als Irrlehren zu erkennen. Ich persönlich habe auch gar nichts gegen einen „Bekenntnistag“ 2017, denn es gehört zum großen Garten Gottes, dass wir in der EKD von evangelikalen Positionen bis zu liberalen Überzeugungen viele verschiedene Glaubenshaltungen beherbergen, die dann sehr gut zusammenwirken, wenn niemand mit der Kategorie „Irrglauben“ hantiert. Denn auch Bruder Parzany weiß natürlich, dass die Wahrheit Gott gehört und nicht einem Menschen, und dass Gottes Wege zum Menschen groß und weit sind, weil seine Güte reicht, so weit der Himmel ist.