DAMASKUS – Oft machen Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) mit Christen kurzen Prozess. Wer sich weigert, zum Islam zu konvertieren, wird enthauptet oder gekreuzigt. In den vergangenen Wochen aber hat die Miliz in Syrien einige Christen freigelassen: Menschen, die vor einem Jahr verschleppt worden waren, als IS-Kämpfer in der nordöstlichen Provinz Hasaka Dörfer gestürmt und mehr als 220 Menschen entführt hatten.
Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die ihre Informationen von Aktivisten vor Ort bezieht, weiß von 200 Freilassungen. Es sollen Lösegelder in Millionenhöhe geflossen sein. „Die IS-Kämpfer brauchen Geld, jeden Tag fordern sie Geld“, sagt Pater Siad Hilal auf der griechischen Insel Lesbos, wo er sich um Bootsflüchtlinge kümmert. Viele von ihnen sind seine Landsleute.
Nährboden für islamistischen Terror
Bis Juni 2015 hat er in Homs gearbeitet, in jener zentralen Region des Landes, die heftig umkämpft war. In der drittgrößten Stadt in Syrien erlebte der Pater die anfangs friedlichen Demonstrationen gegen das Regime in Damaskus vor fünf Jahren, die Eskalation der Gewalt und schließlich den Bürgerkrieg, der zum Nährboden wurde für radikal-islamische Terrororganisationen wie den Islamischen Staat und die Al-Nusra-Front, einen Ableger des Al-Kaida-Netzwerks.
Der Syrienkonflikt, der im März 2011 begann, hat die größte Flüchtlingsbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst. Jeder Vierte der rund 22 Millionen Syrer ist ins Ausland geflohen, mehr als 250 000 Menschen starben. Die aktuellen Friedensbemühungen lassen Pater Siad zwar hoffen, ihm ist aber auch bewusst, wie kompliziert die Lage ist.
Zwei Millionen Christen, etwa zehn Prozent der Bevölkerung, lebten vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Ihre Lage wurde schwieriger, als Regierungstruppen die friedlichen Proteste blutig niederschlugen und die Extremisten unter den Rebellen immer stärker wurden: „Alawiten in den Sarg, Christen nach Beirut“, wurde einige Monate nach Beginn der Proteste skandiert.
Präsident Baschar al-Assad nutzte das aus und präsentierte sich als Schutzherr der Minderheiten – was diese noch stärker in Bedrängnis brachte. Im Dezember 2013 machte die bedrohliche Lage der Christen Schlagzeilen, als Islamisten das Dorf Maalula in den Bergen nördlich von Damaskus stürmten. Maalula ist eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt und Heimat der berühmten Klöster Mar Thekla und Mar Sarkis. Manche Bewohner sprechen noch Aramäisch, die Sprache Jesu.
Die IS-Kämpfer verschleppten eine Gruppe Nonnen und begannen mit der Zerstörung der Pilgerstätte. Vier Monate später vertrieb die syrische Armee sie aus dem Gebiet. Assad besuchte die Menschen höchstpersönlich und versprach den Wiederaufbau. Die Nonnen waren zuvor freigekommen, offenbar hatte die Regierung in Damaskus im Gegenzug Gefangene freigelassen. „Viele Bewohner sind inzwischen wieder nach Maalula zurückgekehrt“, sagt Pater Siad. „Dort herrscht jetzt Frieden.“ Anderen Regionen geht es schlechter: Östlich von Homs überrannte der „Islamische Staat“ noch im vergangenen Jahr Orte wie Karjatain, wo viele Christen lebten. „Die aramäischen Christen wurden gezwungen, einen Strafkatalog mit menschenunwürdigen Bestimmungen des IS zu unterzeichnen, sonst drohte ihnen der Tod“, sagt Daniyel Demir, Vorsitzender des Verbands der Aramäer in Deutschland. „Christliche Symbolik und Rituale waren verboten.“