Diakoniepräsident Rüdiger Schuch und VdK-Präsidentin Verena Bentele äußern sich 100 Tage nach dem Start der schwarz-roten Bundesregierung enttäuscht. „Ich habe immer stärker das Gefühl, dass die Regierung den Sozialstaat nur als Problem wahrnimmt“, sagte Schuch. Bentele kritisierte: „Statt zu betonen, wie wichtig ein gut funktionierender Sozialstaat für den demokratischen Zusammenhalt ist, wird teilweise faktenfrei über Einsparungen und Kosten lamentiert.“
Schuch warf konkret Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in der „Augsburger Allgemeinen“ vor, die soziale Arbeit zu sehr als Kostenfaktor zu sehen. Diese Perspektive müsse sich ändern. „Er sieht zu wenig, dass Menschen, die im Bürgergeld gefördert werden und auf den ersten Arbeitsmarkt kommen, ihr Leben wieder eigenständig gestalten können und einen wichtigen Beitrag für diese Gesellschaft leisten“, sagte der Diakoniepräsident. Merz sehe auch zu wenig, dass in der Eingliederungshilfe Menschen auch auf den ersten Arbeitsmarkt gebracht werden und so Teilhabe möglich ist.
Sozialstaat als Gelingensfaktor
„In meinen Augen ist der Sozialstaat ein Gelingensfaktor. Er sorgt nicht nur für den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft“, sagte der Präsident der evangelischen Wohlfahrt. Der Sozialstaat setze aus sich heraus zivilgesellschaftliche Kräfte frei, die für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen benötigt würden. „Das mag zunächst etwas kosten, bringt aber später einen unglaublichen Mehrgewinn“, sagte Schuch.
Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Bentele, kritisierte unter anderem, dass zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung von der schwarz-roten Regierung bisher zu wenig getan worden sei. Millionen von Menschen, Ältere, schwerbehinderte Personen oder Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, blieben weiterhin von wirklicher Teilhabe ausgeschlossen, weil die Bundesregierung sich nicht auf wirksame Reformen bei der Barrierefreiheit einigen könne, erklärte Bentele am.
Bundesregierung muss sich zu einem gerechten Sozialstaat bekennen
Auch bei der Pflege bestehe großer Handlungsbedarf, sagte die VdK-Präsidentin, die sich zugleich für eine stärkere Besteuerung von Vermögen und Erbschaften aussprach. Zudem sollten aus ihrer Sicht „endlich alle Erwerbstätigen solidarisch in die Sozialsysteme einzahlen, einschließlich Beamter und Abgeordneter“. „Die Menschen fragen sich zu Recht, warum diese gesellschaftlich relevanten Themen nicht ganz oben auf der Agenda stehen und alle wichtigen Entscheidungen in Kommissionen ausgelagert werden“, erklärte Bentele. Ein starkes Bekenntnis der Bundesregierung zu einem leistungsfähigen und gerechten Sozialstaat sei bisher ausgeblieben.
