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Deutschland wächst – doch lange nicht überall

Die einen müssen mit Wachstumsschmerzen rechnen, die anderen mit Schrumpfung fertig werden. Zwar wächst Deutschland in den kommenden Jahren deutlich – doch nicht überall. Das hat Folgen für Städte und Gemeinden.

“Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.” Dieses beliebte Bonmot wird gleich mehreren berühmten Männern wie Churchill, Mark Twain, Karl Valentin oder dem Physiker Niels Bohr zugeschrieben. So schwierig die Vaterschaft nachzuweisen ist, so deutlich bewahrheitet sich der Spruch immer wieder.

Beispielsweise bei Bevölkerungsprognosen. Hatte das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn in seiner neunten Bevölkerungsprognose 2021 noch einen leichten Rückgang der Bevölkerung in Deutschland bis 2040 auf 81,9 Millionen vorausberechnet, so sieht die am Mittwoch in Bonn vorgestellte 10. Bevölkerungsprognose ganz anders aus: Jetzt erwarten die Experten bis 2045 einen Zuwachs auf 85,5 Millionen. Das entspräche einem Plus von rund 800.000 Menschen oder 0,9 Prozent gegenüber 2023.

Ursache ist vor allem die Zuwanderung: Während pro Jahr rund 250.000 bis 290.000 Menschen mehr sterben als geboren werden, rechnen die Experten mit einer Netto-Zuwanderung von mehr als 400.000 Menschen pro Jahr – insgesamt rund 9,2 Millionen Menschen bis 2045.

Besonders prägend: Die Zahl der Menschen im Rentenalter (ab 67) erhöht sich der Prognose zufolge bis 2045 bundesweit um 2,2 Millionen oder 13,6 Prozent. Zugleich nimmt die Zahl der Erwerbsfähigen bis 2045 um zwei Prozent ab.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich jedoch große regionale Unterschiede und wachsende Ungleichheiten. “Strukturstärkere Regionen, die schon in der Vergangenheit eine vorteilhaftere demografisch Entwicklung aufwiesen, können auch in den nächsten 20 Jahren auf Basis dieser Status-quo-Prognose von einer relativ günstigeren Entwicklung ausgehen. Strukturschwächere Regionen sind dagegen von starken Bevölkerungsverlusten und einer hohen Intensität der demografischen Alterung betroffen”, heißt es in der Studie.

Während wirtschaftsstarke Großstädte und ihr Umland sowie zahlreiche ländliche Regionen insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg weiterwachsen, verringert sich die Bevölkerungszahl in strukturschwachen Gegenden weiter. Die meisten kreisfreien Städte und Landkreise mit Bevölkerungswachstum liegen in den alten Bundesländern. Das stärkste Wachstum – mehr als 14 Prozent bis 2045 – prognostiziert das BBSR für den Landkreis Ebersberg (Bayern) sowie die Städte Freiburg im Breisgau, Potsdam und Leipzig.

In Ostdeutschland bleiben auch Berlin und weite Teile seines Umlandes auf Wachstumskurs. Dagegen werden strukturschwache Landkreise abseits der Metropolen an Bevölkerung verlieren. Der Erzgebirgskreis (Sachsen), Greiz (Thüringen) und Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt) büßen bis 2045 mehr als ein Fünftel ihrer Bevölkerung ein. Aber auch Regionen in Westdeutschland werden Einwohner verlieren, etwa Teile Nordhessens, angrenzende Gebiete im östlichen Teil Nordrhein-Westfalens sowie Teile des Saarlands.

Die Bevölkerungswissenschaftler betonen, dass alle Regionen vor großen Herausforderungen stünden. Dazu zählen die Fachkräftesicherung, Integration, altersgerechte Wohnungen, Digitalisierung und die Anpassung der sozialen Infrastrukturen.

Allerdings sind die Anforderungen sehr konträr: In den strukturstarken Städten und Kreisen werde es vor allem um die Befriedigung einer steigenden Nachfrage nach Wohnraum und sozialen Dienstleistungen wie Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung oder Pflege gehen, sagte Peter Jakubowski vom BBSR. Für strukturschwächere Regionen werde es dagegen immer herausfordernder, eine leistungsfähige Daseinsvorsorge zu schaffen. Hier gehe es unter anderem darum, die Auslastung von Kindergärten, Schulen, öffentlichem Nahverkehr und kommunaler Infrastruktur zu sichern

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) betonte die Chancen der Zusammenarbeit: Weil die Großstädte und ihr Umland weiterwüchsen, werde die Nachfrage nach Wohnungen dort hoch bleiben. “Die soziale Wohnraumförderung wird gerade dort weiter wichtig sein.” Gleichzeitig werde das Wachstum der Großstädte eine Chance für viele ländliche Räume sein, wenn es gelinge, sie als Wohn- und Unternehmensstandorte zu stärken. Strukturschwache Regionen sollten mit Unterstützung von Bund, Ländern und der EU den ganzen Kanon strukturpolitischer Maßnahmen nutzen, um lebenswerte Orte zu erhalten.