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„Der Retter der Mütter“

Zu Lebzeiten angefeindet, heute ein Held: Ignaz Philipp Semmelweis. Der ungarische Arzt fand heraus, warum im 19. Jahrhundert so viele Menschen im Krankenhaus starben, vor allem Mütter. Seine Geschichte liest sich wie ein Krimi. Vor 150 Jahren starb er

Peter Gugerell

Hygiene in Krankenhäusern ist ein ganz großes Thema. Schon im Eingang erwarten die Besucher die ersten Spender mit Desinfektionsmitteln, weitere folgen auf den Stationen. Aber auch die Hygienevorschriften für das Krankenhauspersonal wurden in den vergangenen Jahren immer wieder neu diskutiert und verschärft.

Geißel für Generationen: das Kindbettfieber

Dass mangelnde Hygiene Menschenleben kosten kann, hat schon der ungarische Arzt Ignaz Philipp Semmelweis nachgewiesen, der vor 150 Jahren, am 13. August 1865 in Wien starb. Semmelweis ist unter dem Ehrentitel: „Der Retter der Mütter“ in die Geschichte eingegangen. Und das mit vollem Recht, hat er doch herausgefunden, wie man das gefürchtete Kindbettfieber vermeiden konnte.
Ignaz Philipp Semmelweis, geboren 1818 in Budapest, war ein begabter, junger Mediziner, als er 1846 in der Geburtshilflichen Universitätsklinik im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien seine Stelle antrat. Ihm fiel auf, dass auf einer Station nur sehr wenige Frauen im Kindbett starben, auf der anderen jedoch erheblich mehr. Die eine Station wurde von Hebammen betreut, die enorm auf Sauberkeit achteten, die andere von Medizinstudenten, die oftmals noch blutverschmiert von Leichensezierungen ohne weitere Hygienemaßnahmen die Frauen behandelten. Als dann noch ein Freund von ihm an einer Blutvergiftung starb und dabei ähnliche Symptome aufwies wie die Frauen, die an Kindbettfieber starben, drängte sich ihm der Zusammenhang auf.

Ein Freund stirbt. Das bringt die Erkenntnis

Die Frauen starben im Kindbett an einer Blutvergiftung, ausgelöst durch Schmutz und die Leichenpartikel an den Händen der Ärzte. Dass man mittels Händewaschen und dem anschließenden Desinfizieren der Hände das Leben unzähliger Mütter retten konnte, war Semmelweis danach klar. Er litt schwer unter einem schlechten Gewissen, schließlich hatte auch er früher zahllose Frauen unbeabsichtigt ohne weitere Hygienemaßnahmen behandelt und fürchtete daher, Schuld am Tod einer unbekannten Zahl von ihnen gewesen zu sein. Er versuchte, seine bahnbrechende Erkenntnis weiterzugeben. Seine Studie von 1847/1848 gilt heute als erster praktischer Fall von evidenzbasierter Medizin in Österreich. Doch damals wurde er verlacht, angefeindet und verlor seine Stelle. Dass er verbittert seine Gegner als Mörder bezeichnete, was inhaltlich vielleicht richtig war, taktisch jedoch reichlich ungeschickt, machte ihn unter seinen Kollegen nicht populärer.

Verlacht, angefeindet, aus dem Beruf verjagt

Zwar konnte er sich später noch in Wien habilitieren, aber nur mit Einschränkungen. Er ging dann zurück nach Ungarn und arbeitete dort als Arzt in der Geburtshilfe. 1861 fasste er seine Ergebnisse in der Darstellung zusammen: „Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers“. Nur wenige Kollegen folgten ihm, selbst große Koryphäen wie Rudolf Virchow reagierten mit Befremden auf die Theorien von Semmelweis.
Heute gelten seine Entdeckungen als grundlegend.

Ironie der Geschichte: Tod durch eine Blutvergiftung

Mit Sicherheit war der Arzt keine einfache Persönlichkeit, die ständige Ablehnung tat ein Übriges. Es wundert nicht, dass er später in Depressionen abglitt. Am 1. August 1865 wurde er in ein Heim für Geisteskranke eingeliefert, wie es damals hieß, und zwölf Tage später war er tot. Er starb an einer Blutvergiftung, die er sich bei einer seiner letzten Operationen zugezogen hatte – was für eine Ironie der Geschichte.
Erst nach Semmelweis‘ Tod setzte sich die Erkenntnis durch, dass der ungarische Arzt mit seinen Entdeckungen Recht hatte. Verschiedene Institutionen tragen heute seinen Namen. Im Englischen gibt es sogar den Begriff „Semmelweis-Reflex“. Er beschreibt das häufig zu beobachtende Phänomen, dass eine Entdeckung, ohne sie weiter zu überprüfen oder zu durchdenken, rundweg abgelehnt wird und der Urheber dieser Entdeckung bekämpft statt unterstützt wird.