von Charlotte Morgenthal
Hameln/Hermannsburg. Wenn Christian Priesmeier in seinem Ahnenbuch blättert, offenbart sich eine 500-jährige Familiengeschichte mit einem prominenten Vorfahren. Der Finger des 51-Jährigen gleitet gezielt entlang der kleingedruckten Schriftzeilen. "Hier steht mein Name", sagt er schließlich. Priesmeier gehört zu den direkten Nachfahren des Reformators Martin Luther (1483-1546). Seit 2015 ist der IT-Experte aus Hameln außerdem der Vorsitzende der "Lutheriden", einem Familienverband, der in ganz Deutschland rund 200 Luther-Nachfahren vereint. Weltweit gibt es derzeit schätzungsweise etwa 5.000 Menschen, die von Luther abstammen.
Keine Bonuspunkte als Luther-Nachfahre
Seit ein paar Jahren tritt Priesmeier selbst ein Stück weit in die Fußstapfen Luthers und studiert im niedersächsischen Hermannsburg berufsbegleitend Theologie. In einer Vorlesungspause hat er sich auf dem Campus-Gelände auf eine Bank in die Sonne gesetzt. Über seinem braunen Kapuzenpulli baumelt ein Holzkreuz. "Ich bin durch und durch lutherischer Christ", sagt er im Brustton der Überzeugung. Besonders faszinierend an seinem Vorfahren findet er die Zielstrebigkeit, mit der dieser seine Glaubensüberzeugungen vertreten habe. Seine besondere Familiengeschichte begleitet Priesmeier schon sein Leben lang. "Meine Großmutter hat mir das immer aufs Brot geschmiert, weil sie so stolz war, dass mein Vater eine Luther-Nachfahrin geheiratet hatte", sagt er mit einem Schmunzeln. Im Religionsunterricht hätten Mitschüler ihm allerdings oft nicht geglaubt. "Da habe ich dann auch das Ahnenbuch mitbringen müssen." Die Abstammung von Luther habe ihm aber keine Bonuspunkte eingebracht, ergänzt er lachend. "Ich bin zwar Nachfahre, aber das, was Luther geleistet hat, kann ich mir nicht auf die Fahnen schreiben."
Luther war für den gebürtigen Hamelner lange nur historische Figur
Mit seinem berühmten Vorfahren habe er sich erst mit über 30 Jahren intensiver beschäftigt, sagt der gebürtige Hamelner. Bis dahin habe er Luther und seine Frau Katarina von Bora eher als historische Figuren und nicht als Familienmitglieder betrachtet. In seiner evangelischen Kirchengemeinde gestaltet er als ausgebildeter Laienprediger regelmäßig Gottesdienste. Seit einigen Jahren gehört er als "Bruder" einer evangelischen Klostergemeinschaft in Amelungsborn im Weserbergland an. In manchen Fällen ist der berühmte Vorfahre kein Vorbild, sagt Priesmeier und blickt dabei auf eine neben ihm ausgebreitete Abbildung des Reformators. Damals sei Luther sicher die richtige Person gewesen, um die Umwälzungen der Reformation anzustoßen. "Mit seinem Schwarz-Weiß-Denken würde er aber in heutiger Zeit kaputtgehen." In der Hermannsburger Fachhochschule für Interkulturelle Theologie studiert Priesmeier zusammen mit Menschen aus 40 Nationen. "Ich habe schon sehr viel mehr Einblicke in die Welt, als er je in seinem Leben hatte."
Als Vorsitzender der "Lutheriden" hält Priesmeier Vorträge
In den Wochen vor dem 500. Reformationsjubiläum ist der Vorsitzende der "Lutheriden" noch häufiger als sonst unterwegs: Unter anderem begleitet er eine US-amerikanische Reisegruppe quer durch Deutschland auf den Spuren Luthers. Oft hält er auch im Ausland Vorträge zur Reformation. Die Vereinigung hat sich zum Ziel gesetzt das Leben und die Lehren des Reformators in die Öffentlichkeit zu tragen. Im sächsischen Zeitz betreiben sie gemeinsam mit der Stadt eine Luther-Bibliothek. "Diese besteht aus einem Sammelsurium, dass teilweise aus Nachlässen der Familien stammt." Auch organisieren die "Lutheriden" regelmäßige sogenannte Familientreffen an den Wirkungsstätten Luthers. Erst kürzlich haben sich mehr als 100 Nachfahren in Wittenberg am Grab des Theologen zu einer Kranzniederlegung versammelt. Lange habe er überlegt, wie er die Ansprache halten werde, sagt Priesmeier. Schließlich wählte er ganz bewusst eine persönliche Anrede: "Lieber Martin, Du warst nicht nur Reformator sondern auch Vater, Großvater und Ahnenherr einer großen Familie…" Dies sei für alle ein bewegender Moment gewesen. (epd)