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Der Luftdruck war‘s

Wie oft haben wir damals vor den Trachtenläden gestanden – meine kleine Tochter und ich. Zu jedem Oberbayern-Urlaub gehörte der kurze Traum vom Dirndlkleid. Aber es war und blieb nur ein Traum, denn tief im Innern ahnten wir wohl beide (ich sicher mehr als sie): Was in Bayern funktioniert, funktioniert in Westfalen noch lange nicht.
Nüchtern betrachtet greift in dieser Sache wohl das, was man als „Retsina-Effekt“ bezeichnen könnte – jenes Phänomen, dem die Süddeutsche Zeitung kürzlich ein Interview mit der Fachfrau Annemarie Foidl widmete. Die Frage war: Warum schmeckt der gleiche Wein im Urlaub eigentlich so viel besser als zuhause? Ihre Antwort: „Viele lokale Weine sind eingebettet in die Kultur – mit der jeweiligen Stimmung, dem Aroma, den Gerüchen.“ So weit, so klar. Aber die Tiroler Sommelière ging noch weiter: Ab einer gewissen Höhe, so erklärte sie, habe das nicht nur mit der Seele zu tun, sondern auch „mit dem Sensorischen“. Durch den veränderten Luftdruck verändere sich das Geschmacksempfinden.

Die Lektüre des Interviews hat mir nun endlich die Augen geöffnet: Es war also der Luftdruck in den Bergen, der damals unsere Dirndl-Leidenschaft geweckt hatte. Denn – kaum zurück in Bielefeld – kehrten wir ja wieder zu unseren gewohnten Kleidungsvorlieben zurück.
Aber noch etwas ist mir – einmal mehr – deutlich geworden: Alles hat eben seine Zeit. Und zu ergänzen wäre: seinen Ort: das Dirndl in Bayern, der Retsina im griechischen Hafenrestaurant, die leckere kanarische Mojo-Sauce auf Lanzarote oder türkischer Lokum in Istanbul. Mitgebracht nach Hause ist alles nur noch halb so gut.