von Thomas Morell
Hamburg. Von dem einst so prachtvollen Kirchenschiff stehen heute nur noch die Chormauern. Doch der neugotische Nikolai-Turm ist gut erhalten. Auch wenn der Blick auf den Turm derzeit durch ein Baugerüst versperrt ist, zählt er zu den Touristenattraktionen Hamburgs. Mit 147 Metern ist St. Nikolai nach dem Ulmer Münster (161 Meter) und dem Kölner Dom (157 Meter) der dritthöchste Kirchturm Deutschlands.
Nikolaikirche: Für drei Jahre das höchste Bauwerk seiner Zeit
Die erste Nikolaikirche wurde 1195 zu Ehren des Schutzheiligen der Schiffer in Hafennähe errichtet. Vollständig zerstört wurde die mehrfach umgebaute Kirche dann beim Großen Brand am 5. Mai 1842. Vier Jahre später erhielt der Engländer George Scott den Auftrag, eine neue prachtvolle Hauptkirche im gotischen Stil zu bauen. Der Turm wurde 1874 fertiggestellt und war drei Jahre lang das höchste Bauwerk der Welt, bis 1877 die Kathedrale von Rouen den Superlativ übernahm.
Während der Bombenangriffe 1943 wurde St. Nikolai stark beschädigt. Die Hauptkirche hätte – wie die anderen vier Hauptkirchen auch – wieder aufgebaut werden können. Doch weil St. Nikolai ihre Innenstadtgemeinde durch Bürobauten weitgehend verloren hatte, wurden die Kirchenmauern 1951 bis auf den Chor abgebrochen. Ohnehin fremdelten die Hamburger mit der üppigen Neugotik und dem Bau aus Sandstein und Marmor. Mit dem Hamburgischen Sinn fürs Praktische wurde ein Teil der Steine zur Befestigung des Elbufers genutzt. Die neue Hauptkirche St. Nikolai wurde 1962 am Klosterstern im Stadtteil Harvestehude eingeweiht.
Ideenwettbewerb nach Zerstörung begann erstmals 1952
1952 trat zum ersten Mal ein gemeinsamer Ausschuss von Senat und Kirche zusammen, um Vorschläge für die Kirchenruine zu diskutieren. 1960 wurde ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben. Vorgeschlagen wurde ein Turm mit Dornenkrone. Doch dafür fehlte offenbar das Geld. Nach mehrjähriger Pause wurden die Bauarbeiten 1974 wieder aufgenommen. Wenn es 34 Jahre bis zur Fertigstellung des Mahnmals gedauert habe, so Bürgermeister Klose bei der Eröffnung, dann liege es sicher daran, "dass es uns Deutschen erst heute möglich ist, diesen schrecklichen Abschnitt der Vergangenheit als Teil unserer Geschichte zu akzeptieren".
Derzeitige Sanierung bald abgeschlossen
Vor sechs Jahren, im Januar 2011, löste sich ein Stein aus dem Turm und fiel auf die benachbarte Willy-Brandt-Straße. Seitdem wird der Turm saniert und ist eingerüstet. Ende des Jahres sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Doch trotz des Baugerüstes lohnt ein Blick von der Aussichtsplattform in 76 Meter Höhe, zu der ein gläserner Panoramalift hinauffährt.
Unter dem Kirchenschiff befindet sich ein Museum, dessen Ausstellung "Gomorrha 1943" an Ursachen und Folgen des Luftkriegs in Europa erinnert. 1995 wurde das zwei Tonnen schwere Turmkreuz neu vergoldet. Mittlerweile klingt es auch im Mahnmal: 1993 wurde ein Carillon aus 51 Kirchenglocken im Turm eingeweiht. Vier Mal täglich ist eine Glockenmelodie zu hören. Jeweils Donnerstags um 12 und Sonnabends um 17 Uhr finden halbstündige Konzerte statt. Der Glockenspieler sitzt in seiner gläsernen Kabine ungefähr dort, wo vor 100 Jahren der Organist von St. Nikolai saß. (epd)