Teil 2 unserer 13-teiligen Serie mit Reformationsgeschichten aus Westfalen und Lippe, diesmal aus Dortmund-Brackel.
DORTMUND – Luther, Reformation, 500 Jahre – alles lange vorbei? In Brackel kann man die Reformationszeit noch in die Hand nehmen. Und einen tiefen Schluck aus ihr nehmen. Denn dort, im östlichen Stadtgebiet von Dortmund, steht ein Abendmahlskelch, der zu den allerersten zählt, aus denen evangelische Christen das Abendmahl empfangen haben.
Man muss das verstehen: Im ausgehenden Mittelalter tranken die Gläubigen beim Abendmahl keinen Wein. Schon lange hatten sie sich davor gedrückt. Aus Furcht davor, den geheiligten Rebensaft zu verschütten. Außerdem war Wein knapp. Irgendwann, nämlich beim Konzil von Konstanz im Jahr 1415, wurde es ihnen dann ganz offiziell von der Kirchenspitze verboten. Nur der Priester nahm noch Brot und Wein. Alle anderen hatten sich mit der Hostie zu begnügen.
Das änderte sich schlagartig mit der Reformation. Martin Luther und die anderen Reformatoren griffen den Gedanken wieder auf, dass alle Gläubigen das Abendmahl in „beiderlei Gestalt“ zu sich nahmen. Eine Revolution. Und der Kelch in Brackel war dabei. Noch heute steht er in der Gemeinde – wenn auch in einem Safe. Eine abenteuerliche Geschichte. Es ist auch die Geschichte eines jungen Mannes. Eines ganz erstaunlichen jungen Mannes.
Man schreibt das Jahr 1549. Martin Luther ist seit drei Jahren tot, die Sache der Reformation an vielen Orten ins Stocken geraten. In Dortmund hat sie ohnehin nicht Fuß fassen können. Da beruft der Deutsche Ritterorden auf die Predigerstelle in Brackel den jungen Priester Arent Rupe. Der ist 26 Jahre alt, stammt aus einer angesehenen Dortmunder Kaufmannsfamilie.
Brackel ist zu dieser Zeit kein Hotspot der Geschichte. Es ist ein Ort der kleinen Leute. Auch über das geistliche Leben gibt es nichts zu berichten. Das sollte sich bald ändern.
Denn der neue Prediger entpuppt sich als glühender Anhänger der reformatorischen Lehre. Einige Jahre zuvor hatte Martin Luther einen ganzen Schwung neuer Lieder geschrieben. Die Melodien eingängig, die Texte hämmern die Botschaft des Reformators in die Ohren und Herzen der Menschen: Nun freut euch, liebe Christen g’mein und lasst uns fröhlich springen!
Die Botschaft kommt an bei Arent Rupe. Luthers Predigten, vor allem seine Lieder müssen den jungen Priester schwer beeindruckt haben. Denn schon 1550, ein Jahr, nachdem er die Stelle in Brackel übernommen hat, führt Rupe die deutsche Sprache und die Kirchenlieder in die Messe ein. Rupe predigt Luthers Sicht auf Gott, die Welt und das Evangelium: Du musst keine Angst vor dem Weltgericht haben – du hättest zwar die Hölle verdient, aber Gott liebt dich so sehr, dass er dir deine Schuld vergibt, wenn du dich zu Jesus Christus hältst.
Die Leute lieben den neuen Prediger. Er ist ein begnadeter Redner, die Lieder kann man gut mitsingen, die Messe macht mit einem Mal richtig Spaß. Schnell wächst die Zahl der Gottesdienstbesucher. Eigentlich hätte es längst Ärger geben müssen mit Rupes Vorgesetzten
im Ritterorden. Aber die wagen es erst mal nicht einzugreifen. Denn auch der Schultheiß des Dorfes und die beiden Dorfvorsteher sind Anhänger von
Arent Rupe.
1554 ist es dann soweit: Rupe schafft die Messe ab. Stattdessen hält er einen richtigen evangelischen Gottesdienst – mit Feier des Abendmahls in beiderlei Gestalt. So etwas hat man hier in der Gegend noch nicht erlebt. Selbst aus dem benachbarten Dortmund kommen Bürger, um daran teilzunehmen.
Der Weinverbrauch steigt schlagartig. Kannen müssen angeschafft werden. (Eine davon ist heute noch in der Reinoldikirche in Dortmund zu sehen.) Das ist den Ordensoberen nun doch zu viel. Sie wenden sich an den Herzog von Kleve, den Herrn der Gegend. Aber auch der ist mittlerweile der reformatorischen Sache zugetan.
Rund 30 Jahre kann
Arent Rupe wirken. Dann kommt die große Politik nach Brackel: Der Kölnische Krieg entbrennt, 1584 verwüsten spanische und bayerische Truppen das Dorf. Aber Rupe und der Dorf-Schulte können entkommen. Und sie schaffen den Wiederaufbau. Bis zu seinem Tod 1608 ist der mittlerweile hochbetagte Rupel eine Bastion der Reformation in Westfalen.
Und der Kelch? Den schenkte die Gemeinde 1594 ihrem Pfarrer. Aus Dank für seine rastlose Tätigkeit. Noch heute kann man darauf die Inschrift lesen: Arent Rupe, Pastor zu Brackel.
(Ein herzliches Dankeschön an Manni Schwarz für die vielen Informationen zum Thema.)
