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Der Kampf ist nicht vorbei

Die Kirchen fordern ein „Ende der korrupten Parteiführer“. Auch der Vizepräsident des Kirchenrates Frank Chikane, selbst ANC-Mitglied, spricht der Regierung ihre Daseinsberechtigung ab

picture alliance / abaca

Die Kritik an Jacob Zuma wächst. Und der Widerstand gegen ihn, denn immer tiefer versinkt Südafrikas Regierung in einem Sumpf aus Korruption (siehe Kasten unten). Auch die Kirchen stimmen mittlerweile in den Chor der Kritiker ein. Pfarrer Frank Chikane (66), Vizepräsident des südafrikanischen Kirchenrates und langjähriges Mitglied der Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC), fordert den Rücktritt von Staatspräsident Jacob Zuma, der ebenfalls dem ANC angehört. Wenn eine Regierung die Verfassung nicht mehr achte, habe sie „keine Daseinsberechtigung“, sagt der frühere Anti-Apartheid-Kämpfer im Interview mit Markus Schönherr.

Der Südafrikanische Kirchenrat forderte kürzlich die Auflösung des Parlaments und die Abhaltung von Neuwahlen. Weshalb dieser drastische Schritt?
Die Religionsführer marschierten zum ANC-Hauptquartier und forderten die Entlassung der politischen Spitzen des Landes, weil diese die Regierung aufs Spiel setzen, sie korrumpieren und dabei die Interessen von Wenigen über jene des Volkes setzen. Wenn eine Regierung die Verfassung nicht mehr achtet, hat sie keine Daseinsberechtigung. Südafrikas Verfassungsgericht hat in der Vergangenheit bereits gegen das Parlament geurteilt; doch die Abgeordneten haben nichts unternommen, um ihre Fehler auszubessern. Deshalb spricht sich der Kirchenrat für eine komplett neue Führung aus.

Hat Südafrika, das als Hochburg der Demokratie bekannt ist, seine Führungsrolle auf dem afrikanischen Kontinent eingebüßt?
Natürlich. Kürzlich war ich in Kenia, und selbst dort blicken die Leute mit Sorge auf uns. Wir haben so gut angefangen, galten als Hoffnungsträger. Das ist vorbei.

Sie sind sowohl Mitglied des Kirchenrates als auch des ANC. Die eine Organisation fordert Präsident Jacob Zumas Rücktritt, die andere verteidigt ihn trotz Korruptionsskandalen. Sind Sie in der Zwickmühle?
Ich fühle mich auf keine Weise hin- und hergerissen, denn aus meinem Grundsatz habe ich nie ein Geheimnis gemacht: Ich will Gerechtigkeit. Ich bin der Freiheitsbewegung beigetreten, da sie für Gerechtigkeit stand. Ich wuchs in der Bewegung auf und war Teil ihres Untergrundkampfes. Als sie aber den Weg der Gerechtigkeit verließ, habe ich offen gesagt, dass sie falsch liegt. Der ANC hat das aufgegeben, was die Bewegung eigentlich ausmacht. Daher bin ich heute einer der ANC-Veteranen, die das Ende der korrupten Parteiführer fordern.

Teilen Sie die Meinung einiger Politologen, dass der ANC bei den Wahlen 2019 erstmals seit der demokratischen Öffnung 1994 die Mehrheit verlieren wird?
Wenn die Verantwortlichen nicht bald etwas ändern, werden sie die Wahl verlieren. Das habe ich schon über die letzten Lokalwahlen gesagt, und es ist eingetroffen. Aber es ist ihre Entscheidung. Die ANC-Mitglieder müssen sich entscheiden, ob sie an der Macht bleiben und ihre so genannte demokratische Revolution fortsetzen wollen. Oder ob sie Korruption verteidigen wollen. Aber dann müssen sie einen hohen Preis dafür zahlen.

Was halten Sie von Präsident Zumas Aufruf an Religionsführer, sich aus der Politik herauszuhalten und stattdessen für Politiker zu beten?
 Ich habe Zuma in einem Brief mitgeteilt, dass dies gegen die Prinzipien jenes ANC verstößt, den ich kenne. Auch er wurde in der Freiheitsbewegung groß –  und ist deshalb die letzte Person, die solche Aussagen über Kirchen tätigen sollte. Er denkt, die Kirchen seien nur zur Unterstützung des ANC da. Das war früher so, weil der ANC Gerechtigkeit wollte. Aber die Kirchen haben nicht die Partei, sondern ihre Ideale unterstützt. Daher sollte es Zuma nicht überraschen, dass etliche Kirchen jetzt Kritik üben.

Sie hätten sich schon lange zur Ruhe setzen können. Dennoch versuchen Sie mit Ihrer Organisation weiter, die Armut in Südafrika zu mindern. Einmal Freiheitskämpfer, immer Freiheitskämpfer?
Der Kampf um Gerechtigkeit ist noch nicht vorbei. Solange ich atme, werde ich Position beziehen. Für diese Freiheit haben Menschen vor gar nicht allzu langer Zeit gekämpft, sind dabei gestorben oder wurden gefoltert. Wer die Geschichte unseres Landes kennt, kann nicht einfach still sein.