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“Der Hass” – Buch über Kindermörder spaltet Spanien

Ein Vater tötet seine Kinder – und spricht darüber. Ein Buch lässt den Verurteilten nun zu Wort kommen. Nach erhitzter Debatte in Spanien erscheint es vorerst nicht – doch die Diskussion ist damit längst nicht vorbei.

Am Mittwoch hätte das Buch “Der Hass” in Spaniens Buchhandlungen liegen sollen. Doch in letzter Minute stoppte der Anagrama-Verlag aus Barcelona vorerst die Veröffentlichung. In dem “Skandal”-Buch, wie die spanische Presse bereits schrieb, schildert der Journalist Luisge Martin die Geschichte des Kindermörders Jose Breton: wie dieser 2011 seine eigenen Kinder Ruth (6) und Jose (2) umbrachte, um seine Frau zu bestrafen, die sich von ihm scheiden lassen wollte.

Der Kindermord erschütterte damals das ganze Land. Tagelang behauptete Breton, seine Kinder seien entführt worden, bis die Polizei auf seiner Finca im andalusischen Cordoba die Knochenreste der verbrannten Leichen fand. Breton wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt.

In “Der Hass” gesteht der Täter nun zum ersten Mal die unfassbare Tat: “Ich löste Pillen in Zuckerwasser auf und gab es ihnen zu trinken. Bevor ich die Leichen ins Feuer legte, vergewisserte ich mich, dass sie nicht mehr atmeten. Sie wussten nicht, was passieren würde. Sie vertrauten mir. Es gab keine Angst, keinen Schmerz, kein Leid”, zitiert der Autor den Kindermörder.

Das Buch basiert auf einem Briefverkehr, den der Schriftsteller über Jahre mit Breton führte. Gefühlskalt schildert der Familienvater, wie er vorging: “Die Medikamente und das Brennholz hatte ich auf dem Hof. Ich musste nur noch den Diesel kaufen.” Das Verbrennen der Leichen sei ihm wichtig gewesen – einerseits, um das Leid der Mutter zu erhöhen. Und: “Ohne Leichen gibt es kein Verbrechen, das steht in jedem Kriminalroman.”

Als die Mutter der getöteten Kinder, Ruth Ortiz, über die Presse von der bevorstehenden Veröffentlichung des Buches erfuhr, legte sie Rechtsmittel ein, um die Publikation zu verhindern. Sie klagte auf eine Verletzung ihrer Privatsphäre und der Würde ihrer Kinder. Doch der zuständige Richter war der Meinung, das Recht auf freie Meinungsäußerung wiege mehr.

Die Staatsanwaltschaft ist gegen die richterliche Entscheidung bereits in Berufung gegangen. Die Debatte schlägt hohe Wellen: Spaniens Tageszeitungen berichten über das Buch und den Plan Tausender spanischer Buchhandlungen, die Veröffentlichung zu boykottieren. Am Mittwochabend strahlte das spanische Staatsfernsehen TVE eine Talkshow aus. Zentrale Frage: ob es ethisch, moralisch und rechtlich erlaubt sei, ein Buch zu veröffentlichen, in dem die Version des Täters geschildert wird – und die Mutter nicht zu Wort kommt.

Der Verdacht vieler Buchhändler: Breton wolle seine Ex-Frau mit dem Buch und den Details über den Tod ihrer gemeinsamen Kinder erneut bestrafen. “Wir haben noch nie den Verkauf eines Buchs unterbunden. Aber wir werden nicht dazu beitragen, dass die Mutter noch mehr leiden muss”, erklärte Javier Lopez, Händler des Madrider Büchergeschäfts “Carmen”, der Zeitung “El Mundo”. Auch “El Jardin Secreto” in Plasencia will das Buch nicht zum Verkauf anbieten. “Wir wollen einem Kindermörder keine Stimme und Plattform geben. Es wird Menschen geben, die diesen Mist konsumieren wollen, aber wir werden ihnen dabei nicht helfen”, sagte Händler Ivan Madox verärgert.

Obwohl Anagrama die richterliche Erlaubnis für die Veröffentlichung des Buches hatte, setzte der Verlag die Publikation nun auf unbestimmte Zeit aus. In einer Erklärung des Verlags vom Donnerstag heißt es, dass “in einer demokratischen Gesellschaft ein Gleichgewicht zwischen der kreativen Freiheit als Grundrecht und dem Schutz der Opfer bestehen muss”. Man komme der Aufforderung der Staatsanwaltschaft freiwillig nach, die Verbreitung des Werks auszusetzen.

Der Verlag bringt seinen “uneingeschränkten Respekt für Ruth Ortiz” zum Ausdruck und bedauert demnach “jeglichen Kummer, den die veröffentlichten Informationen über die Publikation und den Vertrieb des Buches bei ihr verursacht haben könnten”. Zudem bestreitet Anagrama Gerüchte, denen zufolge Breton für das Buch “Zahlungen jeglicher Art geleistet wurden oder werden”.

Wahrscheinlich wäre die Veröffentlichung im Zuge der polemischen Debatten und der Medienaufmerksamkeit ein gutes Geschäft für den Verlag gewesen, der sich bis kurz vor dem angekündigten Erscheinungsdatum für die Publikation positioniert hatte. “Die spanische Verfassung erkennt das Grundrecht auf literarisches Schaffen an. Daher ist Anagrama der Ansicht, dass sowohl der Autor als auch der Verlag das Recht haben, dieses Werk zu veröffentlichen”, hieß es noch vor wenigen Tagen aus dem Verlagshaus, das zu den renommiertesten Spaniens gehört.

Man sei sich der Ungeheuerlichkeit des von Jose Breton begangenen Verbrechens voll bewusst, aber die Literatur habe sich schon immer mit komplexen und schmerzhaften Realitäten auseinandergesetzt, darunter auch mit Verbrechen, die ganze Gesellschaften geprägt hätten, lautete die offizielle Position. Ziel des Autors sei es überdies nicht, die Tat zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, sondern – im Gegenteil – ihren Schrecken aufzuzeigen. Letztlich war der mögliche Image-Schaden aber wohl doch zu groß – zumindest vorerst.