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Der frühe Vogel fängt den Wurm – und wird gezählt

Sind Vögel häufig zu sehen, geht es der Natur gut. Doch der Bestand der gefiederten Tiere geht zurück. Daher werden die häufigsten Brutvögel in ganz Deutschland systematisch erfasst.

Felix Normann aus Karlsruhe zählt Vögel von Berufs wegen
Felix Normann aus Karlsruhe zählt Vögel von Berufs wegenepdbild / Christine Süß-Demuth

Early Bird: Einmal im Monat ist Felix Normann ganz früh unterwegs. Bei Sonnenaufgang zählt er jeden Vogel, den er sieht oder manchmal auch nur hört. Das macht der Leiter der Koordinierungsstelle der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) ganz systematisch auf einer genau festgelegten drei Kilometer langen Strecke in Karlsruhe-Daxlanden. Die LUBW koordiniert das Monitoring häufig vorkommender Vogelarten in Baden-Württemberg.

Das sogenannte Brutvogel-Monitoring dient als Frühwarnsystem für den Zustand der Natur. In ganz Deutschland werden die aktuellen Vogelbestände dokumentiert und ihre Entwicklung beobachtet auf 2.637 repräsentativ ausgewählten, ein Quadratkilometer großen, sogenannten Probeflächen. Allein in Baden-Württemberg gibt es 400 Flächen, sie werden meist von ehrenamtlichen Kartierern festgelegt.

Geschultes Auge

Von März bis Juni – innerhalb der Kernbrutzeit der meisten Vogelarten – zählen sie einmal monatlich ab Sonnenaufgang zwei Stunden lang. Die Zählgebiete liegen in Siedlungen, in Wäldern, auf Agrarland oder an Gewässern. Normann ist in einem Siedlungsgebiet unterwegs. „Das ist zum Zählen gut, aber zur Vogelbeobachtung nicht so interessant.“ Trotzdem entdeckt er dort bis zu 30 verschiedene Arten.

Neben Amseln, Rotkehlchen, Ringeltauben und Saatkrähen erkennt sein geschultes Auge mühelos die Rauchschwalbe auf einem weiter entfernten Strommast und das für Siedlungsgebiete typische Hausrotschwänzchen. Lediglich am Gezwitscher bestimmt er einen Zaunkönig und einen Stieglitz.

Frisch geschlüpfte Amseln warten auf eine Mahlzeit
Frisch geschlüpfte Amseln warten auf eine MahlzeitImago / Photothek

Dabei ist das systematische Erfassen weit mehr als nur das Zählen. Mittels einer App erfasst Normann Vogelart, Anzahl, Gesang, Geschlecht und notiert weitere Beobachtungen. Trägt das Tier einen Wurm im Schnabel, sei das ein Indikator für ein Nest mit Jungvögeln, die gefüttert werden, erzählt der 39-Jährige.

Die Daten werden dann zentral ausgewertet und sind eine wichtige Grundlage für Schutzmaßnahmen und Entwicklung der Artenvielfalt. Seit 1989 werden deutschlandweit die Bestände der häufigen Brutvögel erfasst, seit 20 Jahren in Baden-Württemberg.

Vögel zeigen Zustand der Natur an

Neben dem Haussperling gehören Amsel, Kohlmeise, Mönchsgrasmücke und Buchfink zu den „Top Five“ der Vogelarten in Baden-Württemberg. Eine Feldlerche ist dagegen nur noch selten zu sehen.

Rund 600 Millionen Brutvögel seien seit 1980 in Europa verschwunden, sagt Ingrid Stützle, Ornithologin am NABU-Vogelschutzzentrum in Mössingen. Sie koordiniert die ehrenamtlichen Vogelexperten im Auftrag der LUBW.

LUBW-Kartierer Normann erklärt, als Indikator für den Zustand der Natur seien Vögel besonders geeignet: „Da sie mobil sind, reagieren sie schnell auf Veränderungen in ihrer Umgebung.“ Außerdem seien sie leicht zu erfassen.

Um fast ein Drittel zurückgegangen

Um fast 30 Prozent ist der Vogelbestand in Deutschland seit 1970 zurückgegangen. Bis 2030 sollen es wieder 100 Prozent werden. Der Biologe ist jedoch skeptisch, ob das gelingt: „Wenn man im Naturschutz tätig ist, braucht man eine hohe Frustrationsschwelle.“ Aber Normann kann auch Positives berichten: „Der Wanderfalke ist eine Erfolgsgeschichte.“ Und auch der Weißstorch sei heute sehr viel häufiger zu sehen.

Info
Gesucht werden Menschen, die häufige Brutvögel anhand von Stimme und Gestalt sicher bestimmen und kartieren können. Interessierte Vogelexpertinnen und -experten können sich beim NABU-Vogelschutzzentrum per Mail melden: mhb@nabu-vogelschutzzentrum.de