Artikel teilen:

Der Frieden lässt auf sich warten

Zum fünften Jahrestag der Unabhängigkeit am 1. Juli ist in dem jungen Staat Südsudan der Bürgerkrieg wieder aufgeflammt. Den Menschen im Land fehlt es am Nötigsten

Bettina Ruehl

Im Südsudan eskaliert die Gewalt zwischen Anhängern von Präsident Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar. Das Land sei „zurück im Krieg“, sagte ein Sprecher des Vizepräsidenten dem Sender BBC. Nach mehreren Monaten der Friedensbemühungen starben allein am vergangenen Wochenende bei neuen Feuergefechten in der Hauptstadt Juba etwa 270 Menschen. Wegen der Spannungen sagte die Regierung die Feiern zum fünften Jahrestag der Unabhängigkeit ab. Südsudan war am 9. Juli 2011 vom Sudan unabhängig geworden und ist heute trotz seiner Ölvorkommen eines der ärmsten Länder in Afrika. Südsudanesische Kirchenführer verurteilten die Gewalt in einer gemeinsamen Erklärung und forderten ein sofortiges Ende der Kämpfe. Die Zeit, Waffen zu tragen und einzusetzen, sei vorbei, hieß es in der Erklärung, die die Zeitung „Sudan Tribune“ in Auszügen veröffentlichte. Der Moment sei gekommen, eine friedliche Nation aufzubauen. Die Kirchenführer appellierten an Präsident Salva Kiir und seinen Widersacher, Vizepräsident Riek Machar, ihre Anhänger zum Niederlegen der Waffen zu bewegen. Dies gelte nicht nur für Juba, sondern das ganze Land.

 

„Mein Land hat keine großen Fortschritte gemacht in den letzten fünf Jahren“, sagte Adakien Nour der Kinderhilfsorganisation Word Vision. Unsicherheit sei das größte Problem. In ihrem Heimatdorf im Bundesstaat Unity sei sie mit ihren vier Kindern zwischen die Fronten im Konflikt zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Rivalen Riek Machar geraten. „Meine Kinder sind noch nie zur Schule gegangen und leben in ständiger Angst, denn wir sind in den letzten beiden Jahren von Camp zu Camp geflüchtet. Wir wissen nie, wann und wo die nächsten Kämpfe ausbrechen können“, so die Südsudanesin.
Fast ein Jahr nach dem offiziellen Ende des Bürgerkrieges, das mit einem Abkommen zwischen Regierung und Rebellen besiegelt wurde, ist der Frieden weiterhin in großer Gefahr. Die Regierung solle die Vereinbarungen umsetzen und dringend benötigte Wirtschaftsreformen durchführen, fordert die Entwicklungsorganisation Oxfam. „Die internationale Gemeinschaft, die maßgeblich zum Zustandekommen des Friedensabkommens beigetragen hat, muss streng darauf achten, dass die Bevölkerung des Südsudans sich stärker politisch beteiligen kann“, ergänzt der zuständige Oxfam-Landesdirektor Zlatko Gegic. Auch Frauen sollen laut Care stärker eingebunden werden.
Südsudan hatte sich am 9. Juli 2011 vom Sudan abgespalten. Bei der Unabhängigkeit gab es weltweit die Hoffnung, ein eigener Staat könnte Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung in die Region bringen und die Konflikte um Macht und Verteilung der Rohstoffe lösen. In den vergangenen Jahren haben sich jedoch sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Situation noch verschlechtert.
Der Konflikt im Südsudan begann Ende 2013, nachdem Präsident Kiir Vizepräsident Machar entlassen hatte. Als Teil der Friedensbemühungen kam Machar, ein früherer Rebellenführer, im April zurück und wurde erneut Vizepräsident.
World Vision-Mitarbeiterin Stefanie Glinski erklärt, dass jeder fünfte Südsudanese seit Ausbruch des Bürgerkrieges im Dezember 2013 aus seinem Heimatort geflohen sei. „Die Zufluchtsorte sind oft für Hilfsorganisationen schwer erreichbar“, sagt Glinski nach ihrem Besuch vor Ort. Zwei Drittel der Flüchtlinge seien unter 18 Jahre alt. „Man kann sich kaum vorstellen, wie sie tage- oder auch wochenlang mit wenig Wasser und Essen um ihr Leben laufen.“ Der Rauch von Feuer erinnere viele Kinder sofort an abgebrannte Häuser und ermordete Familienmitglieder.

Inflationsrate von fast 300 Prozent

Die Bildung einer Übergangsregierung, der weiterhin Salva Kiir vorsteht, sei ein Hoffnungsstrahl für die Menschen gewesen, erläutert Fred McCray vom Hilfswerk Care. Jedoch leide die Zivilbevölkerung weiterhin unter doppelter Unsicherheit: „Die anhaltende Gewalt hindert sie daran, selbst Nahrung anzubauen oder zum Markt zu gehen. Und selbst wenn dies möglich wäre: Die astronomischen Preise kann sich kaum jemand mehr leisten.“ Das Statis-
tikamt des Südsudan habe kürzlich die Inflationsrate auf 295 Prozent geschätzt.
Problematisch ist laut Care auch, dass derzeit eine Jahreszeit herrsche, in der aufgrund des Klimas weniger Nahrung produziert werden kann. Im Land sind Millionen Menschen auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Dafür hätten die Vereinten Nationen etwa 1,17 Milliarden Euro veranschlagt, von denen bislang 39 Prozent zugesagt seien. Die fehlenden Mittel müssten von den Geberländern schnell bereitgestellt werden, unterstreicht Oxfam.
„Im Südsudan ist nicht nur viel politischer Wille, sondern auch harte Arbeit erforderlich, um spürbare Fortschritte zu erreichen, die die Menschen neben humanitärer Hilfe dringend brauchen“, sagt Ekkehard Forberg von World Vision. Ein nationaler Friedensprozess sollte auch durch lokale Initiativen zur Versöhnung von unten verstärkt werden. „Eine gute Strategie zum Aufbau eines Staates nach einem Konflikt hat die internationale Gemeinschaft bisher leider nicht gefunden“, so der Friedensexperte.
Die Südsudanesin Nour profitiert zwar von einer durch eine Hilfsorganisation gestellte Wasserpumpe und gespendetem Mehl für Brot, „doch unser Leben ist hart und ich fürchte um das Leben meiner Kinder“, sagt sie – fünf Jahre nach der Unabhängigkeit. Vor allem nach der jüngsten Eskalation der Gewalt im Land scheinen ihre Sorgen um die Zukunft mehr als berechtigt.