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Der Druck wächst

Ein aktueller Vorfall zeigt, dass die Spielräume für Christen und andere religiöse Minderheiten in dem atheistischen Land kleiner werden. Eine Gesetzesreform zielt in die gleiche Richtung

HONGKONG – Als Anfang September der katholische Bischof von Wenzhou, Vincent Zhu Weifang, starb, war eigentlich klar, wer sein Nachfolger werden würde: Shao Zhumin, bis dahin Koadjutor der Diözese – also ein Bischof, der das Recht auf Nachfolge hat, wenn der Vorgänger stirbt oder in den Ruhestand geht. Doch dann wurde Shao – noch vor Zhus Tod – von den chinesischen Behörden kaltgestellt. Es heißt, er sei nach Xining in den Nordwesten des Landes gebracht worden, um dort „Ferien“ zu machen.
Die offiziell atheistische kommunistische Partei erlaubt Religion nur in engen und vom Staat kontrollierten Grenzen. Den Vatikan etwa lehnt sie als Autorität ab; stattdessen erteilt sie selbst die Anweisungen. Dafür schuf sie vor rund 60 Jahren eigens eine Institution, die sogenannte Patriotische Katholische Vereinigung. Neben dieser chinesischen katholische Staatskirche existieren die romtreuen Untergrundgemeinden. Von den geschätzten 10 bis 13 Millionen Katholiken betet mutmaßlich rund die Hälfte in diesen Hauskirchen.

Bis zu 1800 Kreuze wurden entfernt

Auch bei den Protestanten gibt es eine Staatskirche und Untergrundgemeinden, in denen sich zwei Drittel der geschätzt 60 Millionen Protestanten versammeln. Der verstorbene Bischof Zhu war sowohl vom Vatikan als auch von der chinesischen Regierung anerkannt. Nachdem er lange im Untergrund gearbeitet, 16 Jahre im Arbeitslager und mehrere Jahre im Gefängnis verbracht hatte, berief ihn die Staatskirche 2010 offiziell zum Bischof von Wenzhou.
Der Vorfall in der Diözese Wenzhou – das Verschwinden von Shao Zhumin – zeigt erneut, wie eng die Spielräume für Religionsgruppen in China sind. In den vergangenen zwei Jahren wurden in Wenzhou, aber auch in den anderen Städten der südöstlichen Provinz Zhejiang, wo Protestanten und Katholiken durchaus präsent sind, bis zu 1800 Kreuze von Häusern und Kirchendächern gerissen und zerstört. Das Symbol des christlichen Glaubens soll aus dem öffentlichen Blickfeld verschwinden. Möglich wurde dies Amnesty International („ai“) zufolge über eine Verordnung, wonach ein an der Spitze eines Gebäudes angebrachtes Objekt nicht größer sein darf als ein Zehntel der gesamten Größe des Gebäudes.
Beim Entfernen der Kreuze kam es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Gläubigen und Behörden. Zhang Kai, ein Rechtsbeistand der betroffenen Kirchen, wurde nach „ai“-Angaben im August 2015 wegen mutmaßlicher Straftaten gegen die nationale Sicherheit und wegen der „Störung der öffentlichen Ordnung“ verhaftet und später unter „Hausarrest an einem festgelegten Ort“ gestellt. Gegen zahlreiche Pastoren und führende Mitglieder von „Hauskirchen“ wurde ebenfalls dieselbe Form des Gewahrsams ohne Kontakt zur Außenwelt verhängt. Im Februar wurden ein evangelischer Pfarrer und dessen Frau zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie sich der Abnahme eines Kreuzes widersetzten.
Der Druck auf Chinas Gläubige dürfte sich in Zukunft noch weiter verschärfen. So müssen sich alle Priester, welcher Glaubensrichtung auch immer, bei Chinas Staatskirche registrieren lassen, um ein Zertifikat zu erhalten. Wer keines hat, darf keine pastorale  Tätigkeit ausüben – ein Dilemma für die bislang wenigstens leidlich tolerierten Untergrundpfarrer.

„Angst vor dem Verlust der absoluten Macht“

Für große Skepsis sorgen auch die Richtlinien für religiöse Angelegenheiten, die regelmäßig überarbeitet werden. Die neueste Version, die am 7. Oktober in Kraft getreten ist, gilt unter Beobachtern als weiterer Schritt in Richtung einer totalen Überwachung. So sind „religiöse Aktivitäten an nicht genehmigten Standorten“ verboten – ein schwerer Schlag gegen die halblegalen Untergrundkirchen. Zudem sollen Geldflüsse aus dem In- und Ausland systematisch überprüft und ihre Genehmigung erschwert werden. Erstmals rücken auch kirchliche Wohltätigkeitsorganisationen in den Fokus, die verschärft kontrolliert werden sollen.
Eine klare Position zu dem Gesetz bezieht die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen (GfbV). Ende September erklärte GfbV-China-Experte Ulrich Delius: „Deutlicher als mit diesem Gesetz, das bis ins kleinste Detail Eingriffe auch lokaler Behörden in Glaubensfragen regelt, können die Funktionäre der Kommunistischen Partei ihre Angst vor einem Verlust ihrer absoluten Macht nicht ausdrücken.“ (Siehe auch Kasten unten.)