Eine Frau mit langen roten Haaren. Sie steht hinter einem Schreibtischstuhl. Um sie herum: weitere sieben Personen. Sie folgen den Anweisungen des Regisseurs. Die Rothaarige ist die „Heilige Geistin“ im Musical Martin Luther King. Noch proben die acht Solisten in den Räumen der Pop-Akademie in Witten. Es ist nicht mehr lange bis zur Premiere. Noch eine Woche.
Gerade ist eine Szene mit Malcolm X dran. Er war Anführer einer Bürgerrechtsbewegung, die ähnliche Ziele wie Martin Luther King hatte: das Ende der Rassentrennung. Doch Malcolm X und seine Anhänger griffen zu den Waffen. In der Szene wird deutlich, dass er sich nicht wie Martin Luther King von der „Heiligen Geistin“ – im Stück ist der Heilige Geist weiblich – beeinflussen lässt. Stattdessen huldigt er geradezu seiner Waffe.
Intensive Proben zwei Wochen vor der Premiere
Die Heilige Geistin singt „He shall overcome“. Das geht einem als Zuhörer unter die Haut. Doch Malcolm X lässt das kalt. Mehrmals wird die Szene geprobt. Regisseur Andreas Gergen gibt Anweisungen. Die Heilige Geistin soll ihre Hand auf Malcolms Schulter legen. Malcolm soll seine Waffe verliebt anschauen. Die Künstler hören aufmerksam zu und setzen es um.
Das Musical Martin Luther King wird am 9. und 10. Februar in der Grugahalle in Essen uraufgeführt. Dahinter steckt die Stiftung Creative Kirche in Witten, die zur Evangelischen Kirche von Westfalen gehört. „Aber wir ziehen das nicht allein durch“, sagt Ralf Rathmann, Diakon und einer der beiden Gründer der Creativen Kirche. Kooperationspartner sind die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. „In Essen werden wir auch von der rheinischen Landeskirche und dem Bistum Essen unterstützt. Voll ökumenisch.“
Nach „Die zehn Gebote“, „Amazing Grace“ und „Luther“ ist „Martin Luther King“ das vierte große Projekt dieser Art. Bereits im Herbst 2015 kamen die Komponisten Christoph Terbuyken und Hajo Gäbler sowie Autor Andreas Malessa auf die Creative Kirche zu. Sie fragten an, ob sich die Creative Kirche vorstellen könnte, das Projekt umzusetzen. „Damals waren wir vollauf mit dem Luther-Oratorium beschäftigt“, sagt Rathmann. „Da aber Martin Luther King mit seiner Botschaft gut zu uns passt, waren wir offen.“ So entstand die Zusammenarbeit.
„Für uns ist wichtig, dass der große Chor dabei ist. Denn das ist unser Kerngeschäft – wir wollen Laien ein professionelles Umfeld schaffen. Damit sie etwas Tolles erleben können“, so Ralf Rathmann. „Der Chor ist der Star.“ So werden an den beiden Tagen im Februar jeweils 1200 Chorsängerinnen und -sänger auf der Bühne stehen. Eigentlich war nur ein Auftritt geplant. „Doch die Nachfrage war so groß, dass wir noch einen Termin geplant haben für weitere 1200 Singbegeisterte.“ Außerdem legen die Verantwortlichen der Creativen Kirche großen Wert darauf, dass die Botschaft stimmt. „Bei Martin Luther King ist das so. Er hat aus dem Glauben die Kraft geschöpft, um seinen Traum von der Aufhebung der Rassentrennung zu verwirklichen.“
Die Botschaft – darum geht es auch Andreas Malessa. Der Theologe und Journalist hat den Text für das Musical geschrieben. Martin Luther King war tief gläubig, kam aus einer baptistischen Familie. „Aber es geht nicht um Konfession. Martin Luther King lässt sich nicht konfessionell vereinnahmen“, sagt Malessa. „Er war mit seiner Botschaft ein Weltbürger.“ Der Autor betont, dass das Beispiel Martin Luther King zeigt, wie anfangs utopische Träume doch wahr werden können. „Das begeistert mich. Das ist heute noch genauso aktuell.“
Andreas Malessa sitzt in der Probe und verfolgt das Geschehen. Er weiß sofort, wenn sich einer der Künstler vertan hat. Malessa kennt alle Texte in- und auswendig. Er legt Wert darauf, dass Martin Luther King nicht als „Heiligenbildchen“ dargestellt wird. Die Heilige Geistin war Malessas Idee. „Aber das ist keine Verbeugung vor dem Feminismus, sondern zutiefst biblisch.“ Er begründet die Figur mit Bibelstellen wie etwa Jesaja 66, 13: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Die Heilige Geistin, gespielt von Karolin Konert, findet ihre Rolle prima. „Es ist toll, eine Geschichte mit so viel Tiefgang zu erzählen“, sagt sie. „Die Heilige Geistin ist Kings Inspirationsquelle, das Sprachrohr Gottes. Nur so hat er es geschafft, bei all der Aggression Ruhe zu bewahren.“ Besonders genießt die 30-Jährige die Arbeitsatmosphäre bei der Creativen Kirche. „Das ist ganz anders als im Theater. Alle kümmern sich super um uns. Jeder, der mitmacht, steht so dahinter.“ Außerdem freut sie sich auf die Auftritte mit dem Chor. „Das habe ich noch nie erlebt. Das ist sehr kraftvoll, mit so vielen Menschen zu singen.“
Ähnlich geht es Gino Emnes, er stellt Martin Luther King dar. „Es ist eine Ehre, so eine Rolle zu spielen“, sagt er. „Ich finde es gut, dass wir ihn als Mensch mit Ecken und Kanten darstellen.“ Auch er erlebt die Zusammenarbeit mit der Creativen Kirche positiv und freut sich auf den Chor.
Zwei Wochen vor der Premiere proben Solisten und Chor zum ersten Mal miteinander. „Dann gibt es noch die Generalprobe“, sagt Rathmann. Der große Chor besteht aus Projektchören – die sich extra für dieses Musical zusammengefunden haben. Aber auch bestehende Chöre und Einzelpersonen sind dabei. „Wir haben richtig Chortourismus“, freut sich Ralf Rathmann. „Die Sängerinnen und Sänger kommen aus ganz Deutschland. Aus Frankfurt zum Beispiel, aus Hamburg, Leipzig und ganz viele aus dem Ruhrgebiet.“ Jeder, der Lust hat, soll mitmachen können. So ist die jüngste Sängerin eine Achtjährige aus Dänemark, die Älteste ist bereits 84 Jahre alt.
Finanzielles Ziel am Ende: eine schwarze Null
Das finanzielle Risiko liegt übrigens bei der Creativen Kirche. „Wir bekommen Zuschüsse und haben Sponsoren. Aber wir sind sehr in Vorleistung gegangen“, erklärt Rathmann. Weiter finanziert sich das Projekt über die Teilnehmergebühren der Chorsänger und über den Eintritt zur Veranstaltung. „Unser Eintritt liegt sehr viel niedriger als bei kommerziellen Musicals.“ Die beiden Aufführungen in Essen sind bereits ausverkauft. „Seit einiger Zeit können wir wieder ruhig schlafen. Wenn wir am Ende eine schwarze Null schreiben, dann passt es.“
Wer für Essen kein Ticket bekommen hat, kann auf Juni hoffen. Wer Lust hat, im großen Chor mitzusingen, hat auch im Juni die Chance. Denn beim Kirchentag in Dortmund wird es eine weitere Aufführung geben. Außerdem sind mehrere Auftritte für 2020 geplant: in Minden, Bochum, Siegen und Münster.
• Wer beim Kirchentag mitsingen möchte oder sich für einen Auftritt 2020 interessiert, kann sich im Internet informieren und anmelden: www.king-musical.de/mitsingen/ oder: www.king-musical.de/dortmund/; bei weiteren Fragen: Telefon (0 23 02) 2 82 22 22, E-Mail: service@creative-kirche.de.