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Denkmal für Bücherverbrennung: „Die versunkene Bibliothek“

Am 10. Mai jährt sich die Bücherverbrennung zum 90. Mal. Der israelische Künstler Micha Ullman hat zur Erinnerung ein Denkmal auf dem Bebelplatz in Berlin-Mitte geschaffen.

Das „Fenster zur Bibliothek“ im urbanen Kontext
Das „Fenster zur Bibliothek“ im urbanen KontextStefan Kemmerling, CC BY-SA 3.0

Es gibt Denkmäler, die sieht man nicht – jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Das Denkmal des israelischen Künstlers Micha Ullman zur Erinnerung an die Bücherverbrennung auf dem Berliner Bebelplatz ist so ein Denkmal: Es besteht aus nichts als einer quadratischen Glasplatte im Boden des Bebelplatzes. Wer durch sie hindurch sieht, blickt in einen weißen Raum, dessen Wände leeren Buchregale schmücken. „Bibliothek“ nennt Ullman seine 1994/95 entstandene Arbeit schlicht. Sie steht genau an dem Ort, an dem die Nationalsozialisten vor 90 Jahren über 20000 inkriminierte Bücher vor allem von jüdischen, kommunistischen, liberalen und sozialkritischen Autoren öffentlich verbrannten.

Mit und in der Erde

„Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“, schrieb Heinrich Heine schon 1820. Er sollte auf grauen­erregende Weise recht behalten. Micha Ullmans Familie stammt aus Deutschland und floh 1933 vor den National­sozialisten nach Israel. Er wurde in Israel geboren, wuchs dort auf – und kam als Künstler und Kunstprofessor nach Deutschland zurück.

Von 1991–2005 lehrte er – weiterhin mit festem Wohnsitz in Israel – an der Stuttgarter Kunsthochschule. Der Künstler, der ursprünglich Landwirt werden wollte und die Arbeit mit dem Erdboden in einem israelischen Kibbuz gelernt hat, begann früh, mit Erde und in der Erde zu arbeiten: Mulden, Höhlungen, Erdaustauschungen, Sandbilder, Sandskulpturen prägen seine künstlerischen Arbeiten. Viele sind so zart und so subtil, dass sie – wie die Ausstellung eines einzelnen Sandkorns 2018 in der Berliner Akademie der Künste – mit der Schwelle der Wahrnehmbarkeit spielen.

Genau hinschauen

„Minimente“ statt „Monumente“ nennt Micha Ullman seine unscheinbaren Interventionen im öffentlichen Raum. Unweit des Bebelplatzes, Ecke Spandauer Straße/Karl-Liebknecht-Straße in Sichtweite des Lutherdenkmals vor der St. Marienkirche, erinnert Micha Ullmans Kunst im Pflaster der Fußgängerzone an das ehemalige Wohnhaus des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn.

Auch hier muss man genau hinschauen: Die Fenster des schon vor dem Krieg abgerissenen Hauses zeichnen sich, als wäre dessen Fassade auf den Boden geklappt worden, durch Granitsteinplatten im Boden des Platzes ab. Wenn es regnet und die Platten nass werden, werden die Steine zu Spiegeln, in denen der Himmel und die Menschen reflektieren – so wie die Glasplatte der „Bibliothek“ auf dem Bebelplatz.

Himmel und Selbst

Für Micha Ullman ist das von Bedeutung: Dass sich die Menschen, die seinen Arbeiten begegnen, in ihnen spiegeln. Das „Menschentheater“ wie es Ullman nennt, gehört zur Arbeit ebenso dazu wie die Kubatur unter ihnen. Wer hinab in die leere Bibliothek sieht, soll zugleich auch den Himmel und sich selbst sehen können. Das sind die Koordinaten von Micha Ullmans Arbeiten.

Auch in der St.-Matthäus-Kirche im Berliner Kulturforum schauen Menschen durch eine Glasscheibe hinab in den Boden der Kirche, sehen sich selbst, die Spiegelung des Himmels und mit rotem Sand gefüllte Stufen: Sieben mit israelischem Sand gefüllte Stufen führen hinauf und hinab. Die Kirche auf israelischem Boden – ein starkes Symbol für die fundamentgebende Verbindung von Judentum und Christentum.

Spuren in Berlin

Wer sich auf die Suche begibt, kann in Berlin weitere Arbeiten von Micha Ullman im öffentlichen Raum entdecken: Sein frühestes Werk – „Nobody“, ein rostfarbenes Haus ohne Eingang – stand lange Zeit gegenüber dem Jüdischen Museum, jetzt in seinem Garten. Wenige Meter weiter im Innenhof einer Krankenkasse hat der Künstler mit seinem Werk „Blatt“ den Grundriss einer zerstörten Synagoge nachempfunden – mit steinernen Bänken, die von oben betrachtet wie eine Talmud-Seite wirken.

Unweit des Bebelplatzes lässt sich unter der Kanzel des Berliner Doms das Miniment „Seconda Casa“, das „Zweite Haus“, entdecken: zwei sich an ihren Dach­spitzen berührende Wassermulden. Zwei Häuser, für Ullman erster und zweiter Tempel Jerusalems, im Kontext des Kirchenraums auch Synagoge und Kirche. Auch hier spiegeln sich die Betrachtenden in den reflektierenden Wasserflächen. Genau in diesem Moment wird das Mahnmal unsichtbar, wenn sich dessen Betrachterinnen und Betrachter selbst in ihm erkennen.

Am Anfang war das Wort. Eine musikalische Lesung zur Erinnerung an 90 Jahre Bücherverbrennung – In Zusammenarbeit mit dem House of One. Am Mittwoch, 10. Mai, 19 Uhr, in der Predigtkirche im Berliner Dom.