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Demokratisches Muskelspiel in der Bonner Bundeskunsthalle

Aus der riesigen weißen Aufblaspuppe scheint die Luft ‘raus zu sein. Etwas eingeknickt steht die Göttin der Freiheit mit einer Fackel in der Hand da. Doch das muss nicht ihr Ende sein. Das Schicksal der meterhohen Aufblas-Skulptur des Künstler-Duos Zweintopf liegt im wahrsten Sinne des Wortes in den Händen der Besucherinnen und Besucher der Bonner Bundeskunsthalle. Mit Hilfe zweier Luftpumpen und etwas Muskelkraft können sie der Figur wieder Leben einhauchen.

„Der demokratische Muskel muss immer wieder trainiert werden“, erklärt die Intendantin des Hauses, Eva Kraus. Das Thema der Ausstellung „Für alle! Demokratie gestalten“ erscheint angesichts sich mehrender Angriffe auf unsere politische Ordnung brandaktuell. Dabei seien aber weder die jüngsten Überfälle auf Politikerinnen und Politiker noch das in der vergangenen Woche gefeierte 75. Jubiläum des Grundgesetzes der Bundesrepublik Anlass der Ausstellung gewesen, sagt Kraus. Hintergrund sei vielmehr, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Künstlerinnen und Künstler die Frage nach der Demokratie aufgriffen. Die Kunst ermögliche einen anderen Zugang zu dem Thema als eine historische Ausstellung dies könnte, sagt Kuratorin Johanna Adam. „Künstlerinnen und Künstler sind viel mehr in der Lage, Ideen zu entwickeln und Utopien zu spinnen.“

Die Schau, die bis zum 13. Oktober zu sehen ist, präsentiert neben Kunst und Design Zeugnisse aus politischer Kulturgeschichte, Architektur sowie aus Film und Fotografie. Insgesamt sind rund 60 Künstlerinnen und Künstler mit Werken vertreten, darunter Joseph Beuys, Guerilla Girls, Jenny Holzer, Barbara Klemm, HA Schult oder Wolfgang Tillmans.

Ausgangspunkt der Ausstellung ist der Mauerfall und die Vorbereitung der ersten freien Wahlen der DDR 1990. Ein Berg von chaotisch aufgetürmten, mit rotem Samt bezogenen Stühlen empfängt die Besucherinnen und Besucher. Auf diesen Stühlen saßen von Januar bis März 1990 die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Runden Tisches“, der über die Zukunft der DDR beriet. Gabi Dolff-Bonekämper fand die verstaubten Stühle 2018 in einem Abstellraum und machte daraus die Installation „Sturzlage“.

Daneben äußern sich frühere DDR-Bürgerrechtler in Video-Statements enttäuscht. Der „Runde Tisch“ hatte zwar einen am westdeutschen Grundgesetz orientierten Verfassungsentwurf für eine neue, demokratische DDR erarbeitet. Dieser kam aber nicht zum Tragen, da die Volkskammer im August 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik beschloss. Damit sei die Chance verspielt worden, die deutsche Verfassung zu erneuern, lautet eine These, die sich durch die Ausstellung zieht. Der damalige Entwurf habe Aspekte wie Gleichberechtigung oder Umweltschutz ergänzt, die heute diskutiert würden, sagt Adam.

Die Künstlergruppe SCHAUM bereitet die Besucherinnen und Besucher dann darauf vor, dass die Auseinandersetzung mit der Demokratie nicht leicht wird. Der „Kiosk der einfachen Antworten“ sieht mit seinen weiß gestrichenen Holzwänden einladend aus. Aber Erfrischungen gibt es hier nicht. Der Rollladen ist geschlossen. Eine große Bandbreite an Meinungen und Problemen präsentiert Oliver Resslers Acht-Kanal-Videoinstallation „Was ist Demokratie?“. Diese Frage stellte der Künstler Aktivistinnen und Aktivisten in 18 Städten weltweit. Da beklagt eine Schweizerin die Dominanz der Wirtschaft, die demokratische Strukturen untergrabe. Und ein US-Aktivist weist auf die rechtsfreien Räume geheimer Militäranlagen hin.

Die Ausstellung macht dann doch noch einen Exkurs durch die lange Geschichte der Demokratie. Der Nachbau einer hölzernen Losmaschine aus dem antiken Griechenland zeigt, wie vor rund 2.500 Jahren politische Ämter in den Volksversammlungen der Bürger ausgelost wurden. Neben der Amerikanischen und Französischen Revolution sowie der deutschen März-Revolution von 1848 geht es auch um einzelne gesellschaftliche Gruppen, die sich ihr Recht auf Mitbestimmung besonders erkämpfen mussten: Beate Passow vereint in ihrer Tapisserie „Das Wahlrecht“ (2023) US-Frauenrechtlerinnen der 1960er Jahre mit Bayerinnen, die 1919 für das Wahlrecht kämpften.

Im Zentrum des Ausstellungs-Saals stehen Mitmach-Angebote: Neben der Aufblas-Skulptur von Zweintopf lädt dort etwa eine „Kontroversen-Wippe“ von Esra Gülmen zum Argumentieren ein. Auf einem fahrbaren Webstuhl sollen Bonner Bürgerinnen und Bürger gemeinsam ein langes Tuch weben.