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Demokratieforscher: Wahlergebnis ist Ausdruck von Verunsicherung

Viele Wähler entscheiden sich in der Krise für einfache Antworten, bilanziert Gert Pickel. Der sei AfD es gelungen, eine Art Ost-Identität einzunehmen. Der Einfluss der Kirchen auf politische Entscheidungen sei gering.

Das Ergebnis der Bundestagswahl ist nach Ansicht des Leipziger Demokratie-Forschers Gert Pickel Ausdruck einer Verunsicherung in der Bevölkerung. “Man hat derzeit Krisen an allen Ecken und Enden und da wünschen sich Leute einfache Lösungen, Modernisierungsprozesse werden da in der Regel als bedrohlich angesehen. Diese Dynamik ist sicher auch den Grünen etwas zum Verhängnis geworden”, sagte er am Montag auf Anfrage.

“Wir hatten einen Wahlkampf, der Migration zum Leitthema gemacht hat. Und es gibt eine alte Erfahrung aus der Wahlforschung: Themen sind mit Parteien verbunden, bei einer rigiden Migrationspolitik, wird man immer die AfD wählen, weil das das Originale ist”, erklärte Pickel das starke Abschneiden der AfD, die mit 20,8 Prozent als zweitstärkste Fraktion ins Parlament einzieht. In allen ostdeutschen Bundesländern außer Berlin wurde die in Teilen rechtsextreme Partei stärkste Kraft.

“Einerseits ist es die stark gegen muslimische Migration gerichtete Politik, die sehr stark in Ostdeutschland verfängt, obwohl wir einen sehr kleinen Anteil an Muslimen haben”, erläuterte Pickel. “Hinzu kommt, das es der AfD gelungen ist, eine Art Ost-Position, Ost-Identität einzunehmen und Leute für sich zu gewinnen, die sich eben tatsächlich vom Westen bevormundet fühlen.”

Mit Blick auf die Kirchen, die vor der Wahl nochmals vor extremen Positionen und der AfD gewarnt hatte, führte der Religionssoziologe aus: “Es wird deutlich, dass Religion aufgrund der Säkularisierungsprozesse keine zentrale Wahlentscheidung der Kraft mehr ist.” Die Kirchen hätten “schlicht und ergreifend einfach nicht mehr den Einfluss, wie sie in vielleicht noch vor 30, 40 Jahren hatten”. Man merke, dass die kirchlichen Positionierung auch bei den eigenen Mitgliedern nur noch “geringste Unterschiede” hinsichtlich der Wahlentscheidung machten.

Dem am Montagmorgen von der Bundeswahlleiterin veröffentlichten vorläufigen Ergebnis zufolge kommt die Union auf 28,6 Prozent der Stimmen, gefolgt von der AfD mit 20,8 Prozent, dahinter die SPD (16,4 Prozent), Grüne (11,6 Prozent) und Linke (8,8 Prozent). Das BSW verpasste mit 4,97 Prozent knapp den Einzug ins künftige Parlament, ebenso die FDP mit 4,3 Prozent. Die Wahlbeteiligung stieg im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 um gut sechs Prozentpunkte auf 82,5 Prozent.