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Demokratie lernen

Vor 70 Jahren erschienen die ersten Lizenzzeitungen im besetzten Deutschland. „UK“, damals „Neue Kirche“, erhielt ihre Lizenz unter der Nummer 66 im Mai 1946

industrieblick - Fotolia

FRANKFURT A. M. – Nach dem Krieg war Papier knapp. Telefone fehlten, Schreibmaschinen, Schreibtische. Wer eine Zeitung gründen wollte, brauchte aber noch mehr: eine Lizenz der Besatzungsmächte. Die Presse sollte die Demokratie vorantreiben.

Heute ist diese Periode fast vergessen, dabei war sie der Beginn des demokratischen Pressewesens in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: Bis 1949 erschienen die sogenannten Lizenzzeitungen. Eine Zeitung herausgeben durfte damals nur, wer von den Militärbehörden der Siegermächte lizenziert war. Und das waren Menschen, die nicht aus der Zeit des Nationalsozialismus belastet waren. Die Altverleger konnten zwar ihr Eigentum an Verlagshäusern und Maschinen behalten, aber eben keine Zeitungen herausgeben.

Lizenzen nur für unbelastete Deutsche

Die Idee der Siegermächte: Die Medien sollten nach Jahren der NS-Diktatur und der Propaganda die demokratische Entwicklung vorantreiben. Die alliierten Militärbehörden hielten sie für das wichtigste Instrument der Re-Education, der demokratischen Umerziehung der Deutschen.
In der Ausrichtung der Zeitungen verfuhren die Alliierten unterschiedlich. Die sowjetischen Behörden präferierten die Gründung von Parteizeitungen. Die US-Behörden besetzten die Lizenzträger nach dem Gruppenprinzip mit drei oder vier Personen verschiedener politischer Ausrichtung. Französische und britische Behörden verhielten sich zunächst ebenso, ließen dann aber auch parteinahe Zeitungen zu.
Nach dem Gruppenprinzip besetzt wurden auch die Lizenzträger der „Frankfurter Rundschau“ (FR), die am 1. August 1945 als erste Lizenzzeitung in der US-Besatzungszone gegründet wurde. Das Gremium setzte sich aus Sozialdemokraten, Kommunisten und einem sozialistischen Vertreter des politischen Katholizismus zusammen.
Die Herausgeber gerieten freilich schnell in den Strudel des aufkommenden Kalten Krieges: Bis 1947 wurden alle Kommunisten von der US-Militäradministration wieder geschasst. Als führende Figur kam der Sozialdemokrat Karl Gerold ins Gremium, wurde später 19 Jahre lang alleiniger Herausgeber und Chefredakteur der FR und gab dem Blatt die linksliberale Ausrichtung.
Bald nach der „Frankfurter Rundschau“ erschien am 6. Oktober 1945 die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ)mit einer Auflage von 375 000 Exemplaren. Für die erste Ausgabe wählten die Herausgeber eine große Geste: Die Gussform von Hitlers „Mein Kampf“ wurde eingeschmolzen – und daraus entstanden die ersten Druckplatten für die SZ.
Etwa ein Dreivierteljahr später erhielt auch diese Zeitung unter der Nummer 66 die Lizenz der britischen Militärregierung. In einem Brief vom 28. Mai 1946 informierte die britische „Information Control Unit“ den damaligen Direktor des Evangelischen Presseverbandes für Westfalen und Lippe, Focko Lüpsen, über die Genehmigung für das zu diesem Zeitpunkt „Neue Kirche“ genannte Blatt. Die britischen Behörden erlaubten eine Auflage von 230 000 Exemplaren in zweiwöchentlicher Erscheinungsweise. Ausdrücklich wurde allerdings auf die Nachzensur hingewiesen. Der Presseverband musste jeweils acht Exemplare der Zeitung an die britische Kontrollstelle in Bünde und zwei weitere an die Kontrollstelle in Benrath schicken*.
Es ging um die demokratische Umerziehung der Deutschen. Und die hatte bereits während des Krieges begonnen. US-General Dwight D. Eisenhower erließ schon im November 1944 für die besetzten Gebiete ein Totalverbot jeglicher öffentlichen Kommunikation – das galt nicht nur für das Drucken und Veröffentlichen von Zeitungen, sondern auch für Bücher und Broschüren, Noten, Schallplatten, sogar für Zirkus, Jahrmarkt und Karneval.

Neu: die Trennung von Bericht und Kommentar

In einem zweiten Schritt erschienen sogenannte Heeresgruppenzeitungen. Zudem nahmen Rundfunksender unter alliierter Kontrolle ihre Arbeit auf. In der dritten Stufe schließlich genehmigten die Alliierten die Lizenzzeitungen. Die Blätter standen unter ihrer Kontrolle, sollten aber von Deutschen gemacht werden. Geführt wurden sie von Lizenzträgern, die nicht Eigentümer der Zeitungen waren, sondern Treuhänder. Die Lizenzträger hatten häufig keine verlegerische oder journalistische Erfahrung; es war nicht leicht, Menschen zu finden, die die demokratischen Bedingungen erfüllten.
Sowohl Verleger und Herausgeber als auch Chefredakteure benötigten eine Lizenz. Das sollte sicherstellen, dass keine Nazi-Propaganda mehr betrieben werden konnte. Die Zeitungen – obwohl natürlich von Militärzensur kontrolliert – sollten objektiv berichten. Der Standard der Trennung von Bericht und Kommentar im deutschen Pressewesen stammt aus diesen Jahren.
Auch die deutschen Politiker mussten erst lernen, was „demokratische Presse“ eigentlich bedeutete. So wiesen die US-Behörden Ende 1946 den Entwurf eines Pressegesetzes zurück, in dem allen Ernstes Polizeidurchsuchungen und Informationsentzug bei fehlendem Wohlverhalten vorgesehen waren.
Die Pressepolitik der Alliierten ist im medienpolitischen Zusammenhang zu sehen: In der Rundfunkpolitik etwa waren Briten und Franzosen besonders aktiv: 1948 wurde nach BBC-Vorbild der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) gegründet. Damit wurden die Grundlagen für die öffentlich-rechtlichen Sender gelegt. Deren demokratische Kontrolle durch Gremien ist als strukturelles Erbe bis heute wirksam.

* Mehr zur Geschichte des Presseverbandes in: Claudia Puschmann, Wolfgang Riewe: Evangelische Publizistik hat Perspektive. 100 Jahre Evangelischer Presseverband für Westfalen und Lippe e. V., Luther-Verlag, 168 Seiten, 19,90 Euro.