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Debatte um Handyverbot – Medienbildung allein stößt an Grenzen

Kinder bitte offline bleiben? Die Politik liebäugelt mit strengeren Regeln für Smartphones und Social Media. Doch Fachleute warnen, dass reine Verbote übersehen könnten, was junge Menschen noch brauchen.

Keine Handys an Schulen? Keine Sozialen Medien unter 16? Die Debatte nimmt an Fahrt auf – doch Fachleute mahnen zum differenzierten Blick. “Manche Jugendliche müssen auch mit 16 noch geschützt werden”, sagte die Biomedizinerin Anne-Linda Camerini am Dienstag bei einer Veranstaltung des Sciene Media Center – andere seien schon früh sehr reflektiert.

Auch gingen Probleme durcheinander: “Sprechen wir über die Zeit, in der das Smartphone exzessiv genutzt werden? Geht es um Prokrastination, um fehlende soziale Bindungen oder fehlenden Schlaf – also um Abhängigkeit? Oder schauen wir vor allem auf problematische Inhalte?” Lösungen, die unterschiedlichen Schwierigkeiten gerecht werden sollten, müssten an verschiedenen Punkten ansetzen.

Zuletzt hatte Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) angekündigt, noch vor der Sommerpause eine Experten-Kommission einzurichten, um Regelungen für die Smartphone-Nutzung von Kindern zu erarbeiten. Eine Online-Petition, die ein Social-Media-Verbot für Menschen unter 16 Jahren fordert, hat seit vergangenem Herbst über 101.000 Unterschriften gesammelt. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) fordert einen Rechtsrahmen, innerhalb dessen Schulen selbstständig darüber entscheiden können, ob und wie private Handys in der Schule genutzt werden dürften.

Funke-Verlegerin Julia Becker mahnte derweil, wer effektive Regulierung ablehne, schütze Täter: “Zwischen ahnungslos und gewissenlos gibt es einen entscheidenden Unterschied”, sagte sie beim European Publishing Congress in Wien. Es mache sie fassungslos, dass rund 20 Jahre nach der Erfindung des Smartphones im Internet “rechtsfreie Räume schulterzuckend hingenommen” würden. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) nähmen Gefahren aktuell noch einmal deutlich zu.

Auch der Ruf nach Medienbildung stoße an Grenzen, sagte die Leiterin der Forschungsgruppe Internetnutzungsstörungen an der Uniklinik Tübingen, Isabel Brandhorst. Es brauche mehr Forschung dazu, welche Art von Medienkompetenz ab welchem Alter schützen könne. “Kann ein Sechsjähriger, den man über idealisierte Körperbilder auf TikTok aufgeklärt, diese Bilder danach differenziert betrachten? Ich glaube nicht”, so die Wissenschaftlerin.

Eine Regulierung könnte indes Eltern darin bestärken, auf ihr Bauchgefühl zu vertrauen: “Viele denken, dass ihr Kind mit all diesen Inhalten gar nicht fertig wird, wollen es aber auch nicht sozial isolieren.” Ein verzerrter gesellschaftlicher Blick zeige sich schon, wenn “Sucht” plötzlich positiv gemeint sei – etwa in Sätzen wie “ich bin total seriensüchtig”.

In Australien war im vergangenen Jahr ein Gesetz verabschiedet worden, das den Zugang zu Social-Media-Diensten unter 16 verbietet – als Schutz vor Hass, Hetze, Cybermobbing und Suchtgefahren. Der Medienrechtler Stephan Dreyer sagte, bislang gebe es keine belastbaren Erkenntnisse dazu, was diese Maßnahme wirklich bringe. Derweil zeigten sich bei verbotenen Porno-Plattformen “massive Umgehungsversuche”, etwa durch Server, die vorgaukelten, dass sich die nutzende Person in einem anderen Land befinde.

Seit über 20 Jahren existierten funktionierende Verfahren zur Altersfeststellung, sagte Dreyer weiter. Instagram führe zudem Prüfungen durch, wenn der Verdacht aufkomme, dass jemand das eigene Alter falsch angegeben habe. “Man könnte die Plattformen auch einbeziehen, wenn festzustellen ist, dass sie zu schönheitsbezogen genutzt werden oder dass politische Radikalisierung droht”, schlug Dreyer vor.

In der Debatte gehe es viel um Schutz und Befähigung junger Menschen – sie hätten jedoch auch ein Recht auf Teilhabe, erlebten das Netz als Ort von Information, Kreativität und sozialem Austausch. Dies müsse ebenfalls berücksichtigt werden, forderte der Experte. Laut Camerini wäre ein solch bewusster Umgang mit Chancen und Gefahren sinnvoller, als Ängste und Tabus aufzubauen – zumal Verbotenes für junge Leute erst Recht interessant sei. Wer keine smartphone-basierte Kindheit wolle, müsse zudem Alternativen schaffen – etwa Angebote für alle in Nachbarschaften.