Ein Familienvater nimmt in seinem Haus Geräusche und Erscheinungen wahr, die ihn in den Wahnsinn treiben. Eine in die Moderne verlegte Adaption von Guy de Maupassants fantastischer Novelle “Der Horla”.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Ein junges Ehepaar aus Paris zieht mit seiner achtjährigen Tochter in eine Wohnung in der französischen Provinz. Die Mutter Nadia (Mouna Soualem) ist medizinische Forschungsangestellte und findet in ihrem neuen Labor schnell Freunde und Vertraute. Ihr Mann Damien (Bastien Bouillon) arbeitet als Grafiker ausschließlich im Homeoffice.
Das tut ihm nicht gut. In der Neuverfilmung von 2022 frei nach Guy de Maupassants Novelle “Der Horla” beginnt er schon bald, unter seltsamen Erscheinungen zu leiden und Geräusche zu hören, die außer ihm aber niemand wahrnimmt. Zunehmend steigert er sich in die Vorstellung hinein, dass ein furchtbares Wesen von ihm Besitz ergreifen will, und gefährdet damit sich wie auch seine Umwelt.
Die in die Moderne verlegte Adaption durch Marion Desseigne Ravel greift klug und effektvoll die Problemstellung der Vorlage über den Einbruch des wissenschaftlich Unerklärlichen in eine rationalistische Gesellschaft auf. Das auch formal einfallsreiche Psychodrama steigert die Krise dramaturgisch gekonnt mit Anleihen beim Horrorfilm zum stetig zunehmenden Identitätsverlust.
Ein Spukhaus muss nicht aussehen wie Hui Buhs Schloss Burgeck oder im dunklen deutschen Walde stehen. Manchmal tut es auch ein ganz normales modernes Hochhaus mit Eigentumswohnungen irgendwo in der sonnigen französischen Provinz. Dort zieht ein junges Ehepaar aus Paris ein, zusammen mit Chloe (Milla Harbouche), seiner etwa achtjährigen Tochter. Nadia (Mouna Soualem) ist medizinische Forschungsangestellte und findet in ihrem neuen Labor schnell Freunde und Vertraute. Obwohl erneut schwanger, übernimmt ersichtlich sie die Rolle der Familienmanagerin, während Damien (Bastien Bouillon) als Grafiker nun zu hundert Prozent im Homeoffice arbeitet.
Schon früh in Marion Desseigne Ravels Literatur-Neuverfilmung “Das unsichtbare Wesen”, frei nach Guy de Maupassants Klassiker der psycho(patho)logischen Novelle “Le Horla”, zeigen sich indes Zeichen des Außergewöhnlichen, die sich alsbald zu etwas Beziehungsreich-Sinistrem zusammenballen. Zumindest für Damien, der als Einziger Absonderliches wahrnimmt, und für das Publikum, das dabei zusehen kann.
Sind die Krokodile, die unter dem Zebrastreifen leben sollen, noch unschuldigem Spiel und kindlichem Aberglauben zuzurechnen, widersetzt sich die neue Behausung, als habe sie Eigenwillen, hartnäckig ihrer Inbesitznahme durch ihren menschlichen Meister.
Die Dinge beginnen ernstlich problematisch zu werden, als Damien den seltsam rauschend-gurgelnden Ton, den er bereits am ersten Tag in der Wohnung schwach wahrnahm, stärker und dauerhaft vernimmt – und sich dafür partout keine vernünftige Erklärung finden lässt. Und welche Rolle spielt eigentlich der schroff-wortkarge Hausmeister?
Es gehört zu den Qualitäten des Bedrohlichen sowohl der literarischen Vorlage als auch dieser Verfilmung, dass wir alle als konditionierte Grundsucher unsere eigenen größten Befürchtungen an die Stelle des Unerklärlichen setzen können – und dies naturgemäß auch tun. Leidet Damien etwa unter stressinduziertem Tinnitus? Ist er gar Opfer von Long Covid?
Es hilft jedenfalls nicht, dass er im Homeoffice alsbald gänzlich zu versumpfen beginnt: Er wechselt seine Klamotten nicht mehr und hinkt mit der Fertigstellung seiner Aufträge bald heillos hinterher. Das Geräusch, das nur er hört, schwillt an. Obwohl er nächtens fast kein Auge mehr zutut, trinkt jemand – oder etwas – seine Wasserflasche am Bett leer, ohne dass er das bemerkt.
Ab und an ist da in seinem Augenwinkel eine schemenhafte schwarze Zusammenballung; er nennt sie “la presence” (die Manifestation) und versucht, sie mit seiner Kamera zu dokumentieren. Damien wird immer zerfahrener und reizbarer; seine Firma sagt sich von ihm los; schließlich versäumt er es, Chloe von der Schule abzuholen, und sucht verzweifelt Rat bei einer als Online-Spiritistin tätigen Nachbarin.
All dies kann seiner durch und durch rational gesinnten Gattin selbstverständlich gar nicht gefallen; sie empfiehlt ihm stattdessen Sitzungen bei einem Psychotherapeuten und sucht für ein Wochenende Distanz zu Damien. Dieser dramatische Mittelakt reflektiert auf klug in die Gegenwart übertragende Weise die Problemstellung und erzählerische Haltung der Vorlage. Darin schildert Maupassant ebenso den Einbruch des wissenschaftlich Unerklärlichen in eine zutiefst positivistisch geprägte Moderne – sowie die fieberhaften Erklärungsversuche des namenlosen Protagonisten, bis hin zur Möglichkeit einer viralen Infektion aus fernem Lande.
Nach einem furiosen Rave Damiens im leeren Apartment kulminieren die Erscheinungen und Ereignisse krisenhaft wie bei einem Krankheitsverlauf und führen geradewegs auf die Katastrophe zu.