Wenn Sie fragen: „Vanuatu? Wo liegt das denn?“, dann geht es Ihnen wie den allermeisten in Deutschland. Kaum einer kennt dieses Land, das aus 83 Inseln besteht, von denen nur 67 dauerhaft bewohnt sind. Vielleicht hängt unsere Unkenntnis damit zusammen, dass die Ni-Vanuatu – so nennen sich die Menschen dort – nur so wenige sind: 300 000. Die meisten Ni-Vanuatu leben in kleinen Dörfern mit manchmal weniger als hundert Einwohnern. Im ganzen Land gibt es nur zwei Städte, die Hauptstadt Port Vila auf der Insel Efaté mit rund 50 000 Einwohnern und Luganville auf Espiritu Santo mit gut 15 000 Einwohnern.
Die Tourismusindustrie wirbt für Vanuatu als einem der „letzten Paradiese dieser Erde“. Traumhafte Strände, bunte Korallenriffe, üppiger Regenwald, glasklare Wasserfälle, aktive Vulkane – für Touristen bietet das Land Naturschauspiele in Hülle und Fülle. Auch gibt es keine wilden Tiere, keine giftigen Schlangen, Skorpione oder sonstige gefährliche Insekten; das alles bei tropisch-moderaten Temperaturen. Klingt paradiesisch und ist es auch. Doch darf man sich von den Hochglanzbildern in den Reiseprospekten nicht täuschen lassen. Auch Vanuatu muss sich großen Herausforderungen stellen.
Der Inselstaat liegt auf dem Pazifischen Feuerring, einem Vulkangürtel, der den Pazifik von drei Seiten umgibt. Entlang dieses Gürtels kommt es immer wieder zu starken Erdbeben und Tsunamis. Auch sind in Vanuatu noch einige Vulkane aktiv. 2017 und 2018 zum Beispiel brach auf der Insel Ambae der Manaro aus und machte mit Asche und Gasen das Leben auf der Insel für Monate unmöglich. 11 000 Menschen mussten evakuiert werden. Hinzu kommt, dass der Archipel in tropischen Breiten liegt. Während der Regenzeit von Oktober bis März ziehen immer wieder heftige Wirbelstürme über die Inseln, die mitunter große Schäden anrichten können. Nicht umsonst ist Vanuatu nach Angaben der Vereinten Nationen das Land, das weltweit das höchste Risiko trägt, Opfer von Naturkatastrophen zu werden.
Die Ni-Vanuatu wissen, wie man mit solchen Phänomenen umgeht, wo man bei Sturm zum Beispiel Schutz findet, zwischen den arm-dicken Luftwurzeln der riesigen Banyan-Bäume oder in Fels- und Erdhöhlen. Auch Schulen und Kirchen sind oft so gebaut, dass sie bei Zyklonen als Evakuierungszentrum dienen. Die Dächer der Hütten werden bis auf den Boden gezogen, damit sich Sturmböen nicht darunter verfangen können. Sie wissen, wie und wo man regensichere Vorräte anlegt, sogenanntes „Disaster Food“. Das sichert den Menschen das Überleben, wenn ein besonders schwerer Sturm wieder einmal alle Bäume entlaubt und die gesamte Ernte vernichtet hat. Solche Notzeiten kommen immer wieder vor. Für die Ni-Vanuatu sind sie Teil der Natur.
Doch dann kam Pam. Im März 2015 traf der stärkste je gemessene Wirbelsturm auf Vanuatu und verwüstete den Inselstaat in einem Ausmaß, wie es bisher nicht vorgekommen war. Allen, selbst den ganz Alten, war klar: So etwas hatte es noch nie zuvor gegeben.
Der Klimawandel führt dazu, dass tropische Wirbelstürme immer heftiger werden. Im April 2020 suchte ein weiterer Zyklon der höchsten Messkategorie 5 die nördlichen Inseln Vanuatus heim. Wieder wurden so gut wie alle Häuser zerstört, Bäume entlaubt, umgeknickt oder gleich ganz mit den Wurzeln aus der Erde gerissen. Den Ni-Vanuatu ist sehr bewusst, dass es mittlerweile in jeder Regenzeit zu solchen Monsterzyklonen kommen kann. Und sie wissen, dass dies nicht die einzigen Folgen des Klimawandels sind.
Schlimme Folgen des Klimawandels
Nicht nur in Vanuatu steigt der Meeresspiegel und bedroht die Küstenregionen. Das Meerwasser erwärmt sich, was den Fischreichtum bedroht. Korallen sterben ab und bieten den Küsten keinen Schutz mehr vor der Brandung. Durch den Klimawandel verändern sich die Regenmuster, was neben den Zyklonen wohl die gravierendste Folge ist.
Insgesamt fällt in Vanuatu immer weniger Regen. Und wenn es regnet, kommt es immer häufiger zu Extremregen, der gar nicht in die tieferen Bodenschichten eindringt und alles mit sich reißt. Das hat dramatische Folgen für die Nahrungssicherheit einer Bevölkerung, die sich allein in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt hat. Deswegen will Vanuatu eine Schadensersatzklage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag einreichen.
2018 kündigte der damalige Außenminister des Landes, Ralph Regenvanu, auf einem internationalen Klimaforum an, dass seine Regierung alle rechtlichen Möglichkeiten auf zwischenstaatlicher und internationaler Ebene ausschöpfen wolle, damit die Unternehmen, die fossile Brennstoffe nutzen, auch die Kosten der Klimaschäden tragen. Gleichermaßen wolle man die Regierungen zur Verantwortung ziehen, die aktiv oder unbewusst zum Klimawandel beitrügen. Vanuatu sei nicht länger bereit, die Kosten der von anderen verursachten Schäden allein zu tragen. So weit ist bisher noch kein Land gegangen.
Denn sosehr die Ni-Vanuatu unter den Folgen des Klimawandels leiden, so wenig haben sie dazu beigetragen. Vanuatus Treibhausgas-Kontingent liegt bei 0,0001 Prozent des deutschen. Kaum ein anderes Land hat eine bessere Klimabilanz. Das ist ein Grund, warum Vanuatu 2006 auf dem ersten Platz des sogenannten Happy Planet Index gelandet ist. Jedes Jahr ermittelt die britische New Economics Foundation in 140 Ländern das subjektive Wohlbefinden und setzt dieses ins Verhältnis der durchschnittlichen Lebenserwartung und des ökologischen Fußabdrucks der jeweiligen Bevölkerung. Seit Jahren ist Vanuatu immer unter den ersten fünf Ländern zu finden und die Ni-Vanuatu dürfen sich zu Recht zu den glücklichsten Menschen dieser Erde zählen.
Tatsächlich tragen die Menschen in Vanuatu auch fast immer ein Lächeln auf den Lippen. Jeder Reiseführer berichtet davon, dass dies zur Lebensart auf den Inseln dazugehöre. Selbst in Situationen, in denen uns das Lachen vergehen würde – nach Zyklonen, Tsunamis oder Vulkanausbrüchen zum Beispiel – lächeln die Menschen noch. Darauf angesprochen antworten sie, dass dies Ausdruck ihrer Dankbarkeit sei, dass die Natur ihnen alles schenke, was sie zum Leben brauchen. Außerdem gehe Wiederaufbau leichter mit einem Lächeln im Gesicht als ohne.
Doch angesichts von Klimawandel und anderen Herausforderungen, welche die globalisierte Welt mit ihren kapitalistischen Spielregeln stellt, sind die Aussichten für Vanuatu nicht gut. Das Land hat keine Rohstoffe, für die es Devisen bekommen könnte. Die braucht es aber, um Autos, Computer oder Handys kaufen zu können. Bis zur Corona-Pandemie war der Tourismus mit 40 Prozent der stärkste Wirtschaftszweig. Doch seit März 2020 sind alle Grenzen geschlossen. Der Tourismus ist komplett zusammengebrochen.