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Das linke Gewissen Südamerikas ist verstummt

Er war Guerillero und der wahrscheinlich bescheidenste Staatschef Lateinamerikas: Uruguays Ex-Präsident José „Pepe“ Mujica ist tot. Er starb eine Woche vor seinem 90. Geburtstag, zuletzt war er schwer an Speiseröhrenkrebs erkrankt.

Mujica – geboren 1935 und in einfachen Verhältnissen am Rande der Hauptstadt Montevideo aufgewachsen – bekleidete nahezu alle Posten, die ein Politiker innehaben kann: In den 1960er- und 70er Jahren kämpfte er in der Stadtguerilla Movimiento de Liberación Nacional Tupamaros für ein sozialistisches Uruguay, die Militärdiktatur inhaftierte ihn von 1972 bis 1985. Nach dem Ende der Militärdiktatur im Jahr seiner Freilassung wurde er 1994 als Teil des Linksbündnisses „Frente Amplio“ zuerst Abgeordneter, später Minister und schließlich von 2010 bis 2015 Präsident.

Trotzdem blieb er auf seiner Parzelle in der Nähe der Hauptstadt Montevideo wohnen, fuhr einen klapprigen VW-Käfer und spendete einen Großteil seines Präsidentengehaltes. Der Ex-Guerillero prägte das kleine Uruguay mit seinen 3,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern wie kaum ein anderer Politiker.

Internationale Bekanntheit erlangte Mujica durch die teilweise Legalisierung von Cannabis und Schwangerschaftsabbrüchen bis zur zwölften Woche. Uruguay war damit das dritte Land in Lateinamerika nach Kuba und Guyana, das aufhörte, Frauen für die Ausübung ihrer Rechte zu kriminalisieren, und bleibt damit bis heute eine Ausnahme.

Rückblickend erwähnte Mujica die Bekämpfung der Armut als eines seiner Hauptthemen. Er halbierte als Präsident die Zahl der Armen in Uruguay von 18,5 auf 9,7 Prozent der Bevölkerung. Gleichzeitig baute er die Sozialsysteme aus und etablierte ein staatliches Programm für Sozialbauten. Doch statt seine Erfolge zu feiern, äußert sich der Politiker enttäuscht über das Verfehlte. Er schäme sich dafür, Präsident eines Landes gewesen zu sein, in dem Menschen an Hunger leiden, sagte er wenige Monate vor seinem Tod im Interview mit der uruguayischen Wochenzeitung „Búsqueda“.

Kritisiert wurde der charismatische Mann mit den kleinen, ausdrucksstarken Augen vor allem von der Rechten – aber auch von Umweltorganisationen. Naturschützer nahmen ihm die Förderung des Bergbaus und eine intensive Forstwirtschaft übel. Rechte Kreise sahen in der Legalisierung von Cannabis einen Fehlschuss, der kaum dabei geholfen habe, den illegalen Drogenmarkt zu kontrollieren.

Im Gegensatz zu vielen seiner linken Amtskollegen in Lateinamerika verzichtete Mujica darauf, seine Präsidentschaft auszudehnen. Er kritisierte auch wiederholt die Bestrebungen von Evo Morales in Bolivien und Nicolás Maduro in Venezuela, entgegen dem demokratischen Willen im Amt zu bleiben. Mujica wurde unter anderem dadurch zu einem moralischen Kompass der Linken in Lateinamerika.

Den Tod hatte Mujica zuletzt vor Augen. Seinem politischen Wirken setzte er im Gespräch mit der Zeitung „Búsqueda“ ein Ende: „Der Guerillero hat ein Anrecht auf Ruhe“, sagte Mujica. Doch seine Vision eines demokratischeren und sozial gerechteren Lateinamerikas bleibt.