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„Das Glück annehmen, wenn es kommt“

Neurowissenschaftlerin über Glücksmomente in Zeiten von Corona

Die Bücher von Rebecca Böhme passen wunderbar in die Corona-Zeit: Über Resilienz hat die Neurowissenschaftlerin schon geschrieben und über den „Human Touch“, also körperliche Nähe. Im März veröffentlicht die Assistenzprofessorin am Zentrum für soziale und affektive Neurowissenschaften im schwedischen Linköping das Buch „Mind your Glücksschwein. Mit der Kraft positiver Erwartungen das Leben verändern“. Im Interview von Paula Konersmann spricht sie über die Suche nach Glück während der Corona-Pandemie, die Chancen von Spiritualität – und auch über Glücksschweine.

 

Frau Dr. Böhme, wie lässt sich das Glück definieren?
Rebecca Böhme: Das ist eine schwierige Frage. Man könnte sagen, dass es zwei Arten von Glück gibt. Einerseits das kurzlebige Hochgefühl, eine Art Freudentaumel – das kann aber nie auf Dauer gestellt werden, weil sich das Gehirn an jeden Zustand gewöhnt. Die andere Form von Glück bezeichnen wir eher als Zufriedenheit: das Gefühl, mit sich und der Welt im Einklang zu sein. Das ist eher ein sanftes Gefühl, weniger ein Hoch wie in der Achterbahn. Insofern können mit dem Wort „Glück“ sehr unterschiedliche Dinge beschrieben werden.

Hat sich dieser Begriff in Corona-Zeiten weiter verändert?
Viele Menschen scheinen ein stärkeres Gefühl dafür entwickelt zu haben, was sie wirklich brauchen. Dinge, die wir vorher als gegeben wahrgenommen und denen wir wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, fehlen uns während der Pandemie. Speziell denke ich an die zwischenmenschliche Nähe. Wir haben gemerkt, wie existenziell menschliche Kontakte für uns sind. Sie vermitteln nicht immer ein extremes Hochgefühl, aber wir brauchen sie für ein gleichbleibendes grundlegendes Wohlergehen.

Was kann die neurowissenschaftliche Perspektive zur Suche nach Glück beitragen?
Die Neurowissenschaft sucht nach Erklärungen dafür, weshalb Menschen bestimmte Situationen oder Gefühle so erleben, wie sie es tun. Das zeigt etwa die Frage nach dem Hochgefühl, das nicht von Dauer ist: Die neurowissenschaftliche Erklärung dafür lautet, dass sich Glückstransmitter wie Endorphine und Dopamin nicht dauerhaft auf hohem Level ausschütten lassen. Insofern geht es nicht unbedingt um neue Erkenntnisse, sondern um ein tieferes Verständnis.

Titelgebend für Ihr neues Buch ist das Glücksschwein – warum bleiben solche Glücksbringer ungebrochen beliebt?
Glücksbringer, zum Beispiel ein Talisman, können durchaus einen Effekt haben. Der Talisman führt nicht dazu, dass man zufällig mehr Glück hat. Aber wer mit einer positiven Erwartung durch das Leben geht, nimmt Ereignisse anders wahr, ist offener für gute Erfahrungen. Wer sich eher als Pechvogel betrachtet, blendet sie dagegen eher aus.

Kann man also lernen, glücklicher zu sein?
Ich glaube, dass das möglich ist – allerdings nicht, dass es leicht ist. Wir Menschen tendieren dazu, das Negative zu sehen und uns Sorgen zu machen. Dieser Fokus ist bei manchen stärker ausgeprägt und bei anderen schwächer, aber aus biologischer Sicht hat diese Prägung durchaus einen Sinn. So war es sinnvoller, sich um die Zukunft zu sorgen und etwa Vorräte für den Winter anzuschaffen, statt blind in die kalte Jahreszeit zu stolpern. Menschen möchten Schaden vermeiden und können diese Haltung auch nicht einfach ablegen.

Was also tun?
Wir können trainieren, eine andere Geisteshaltung einzunehmen: eine gewisse Offenheit, einen positiven Blick auf die Umwelt und einen positiven Ausblick auf die Zukunft. Unsere Erwartungen tragen dazu bei, wie wir Erlebnisse einordnen und welchen Effekt sie auf uns haben. Wenn wir Dinge als sehr negativ erleben, geraten wir schnell in eine Negativspirale und fühlen uns vom Pech verfolgt. Hilfreicher ist es, sich klarzumachen, dass negative Dinge passieren – und wir trotzdem offen bleiben für das Glück.

In der Corona-Zeit mit all ihren Beschränkungen erscheint das besonders schwierig.
Das stimmt, und da muss jeder die kleinen Glücksmomente für sich finden – die stark von der Lebenssituation abhängig sind. Wer mit einem Partner zusammenlebt, kann versuchen, in der Partnerschaft mehr emotionale Nähe zu finden, gezielt Momente des Beisammenseins zu schaffen. Andere Menschen erleben große Verbundenheit mit ihren Haustieren. Ebenfalls wichtig ist ein Gefühl von Verbundenheit mit der Welt, das sich zum Beispiel in der Natur erleben lässt. Für andere ist es ein besonders leckeres, liebevoll gekochtes Abendessen. Es gilt, bereit zu sein für solche Erfahrungen – und das Glück anzunehmen, wenn es kommt.

Zugleich warnen Psychologen vor „toxischer Positivität“. Wie sehen Sie das?
Auch traurige und düstere Momente gehören zum Leben, und es ist hilfreich, das zu akzeptieren. Es ist wichtig, das Leben in einer Balance zu sehen, nicht nur nach dem Glück zu jagen und alles Negative zu ignorieren. Zudem wird das, was man als schön und glücksbringend erlebt, durch diesen Kontrast sogar oft verstärkt. Wenn alles gut läuft, gewöhnen wir uns daran und erleben vieles nicht mehr als gut, sondern entdecken nach und nach kleine Fehler. Nach schwierigen Zeiten oder unangenehmen Erlebnissen nimmt man stärker wahr, wenn etwas Gutes geschieht.

Welche Rolle können Spiritualität und Religion für das persönliche Glück spielen?
Das Stichwort Hoffnung ist in diesem Zusammenhang interessant. In den Religionen ist die Hoffnung ein wichtiges Thema. Sie meint letztlich eine zuversichtliche Offenheit für die Dinge, die kommen – und den Gedanken, dass etwas hinter diesen Dingen steht. Diese Überzeugung gibt dem Leben eine gewisse Bedeutung, die eine Stütze sein kann – auch dann, wenn etwas Trauriges oder Unerfreuliches geschieht. Zudem sind Glaubenserfahrungen einerseits sehr persönlich, aber meistens macht man sie im Zusammenhang mit anderen Wesen oder auch mit der Natur. Diese Verbundenheit ist ein wichtiger Faktor für das Glücksempfinden.

Werden wir dieses Glück, etwa von persönlichen Begegnungen, nach der Pandemie mehr zu schätzen wissen?
Ich würde gerne sagen, dass die höhere Wertschätzung von Begegnungen und anderem, auf das man lange verzichten musste, dauerhaft tragen wird. Aber wir Menschen sind eben Gewohnheitswesen, und gerade an gute Dinge gewöhnen wir uns sehr schnell. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass wir aus der Corona-Zeit etwas mitnehmen können, zumindest für die kommenden Jahre.
Wir können uns daran erinnern, wie wichtig es ist, wirklich Zeit mit anderen Menschen zu verbringen. Nicht virtuell, sondern im selben Raum, in derselben Atmosphäre, mit körperlicher Nähe. Die digitalen Möglichkeiten werden sicher erhalten bleiben und sich weiterentwickeln, aber diese Erfahrung sollten wir im Hinterkopf behalten.