Von Roland Wicher
Gewaltige Bergpanoramen von erhabener alpiner Schönheit bilden in diesem Film nicht nur Kulisse, sondern den symbolischen kulturellen Raum, in dem sich der Gewissenskampf des Bauern aus dem Bergdorf entfaltet. Ein Zufluchtsort, wie ein Adlerhorst, ein verborgener Ort, so wird diese Bergwelt eingangs beschrieben. Ein tiefverwurzelter Katholizismus und eine unverbrüchliche Gottesbeziehung prägen Jägerstätter. Biblische Zitate und besonders das Vater Unser durchziehen den Film wie Flechtwerk. Als Stimme aus dem Off, vielleicht im Kopf des Bauern, legen sie sich über die Bilder und Szenen.
Der Film malt zu Beginn eine bäuerliche Idylle, in der Jägerstätter (August Diehl) lebt und arbeitet. Menschen holen mit einfachsten Geräten auf den Feldern die Ernte ein, bestellen mit vom Ochsen gezogenem Pflug das Feld, wie im Bilderbuch. Hier lernt Franz seine Frau Franziska kennen, sie werden ein Paar, haben Kinder, gehen der Landarbeit nach. Die Ideologie der Nazis erreicht diese Welt gleichsam wie ein fremdes, neues Geräusch, der Bürgermeister und einige Männer beten im Suff die Parolen der Nazis nach, wie auch schwarzweiße Wochenschaubilder zu Beginn des Films fremdartig wirken, verglichen mit dem Bergidyll mit seinen schroffen Gipfeln und grünen Tälern in eindrucksvollen, farbkräftigen Kamerabildern.
Faust in der Tasche statt Hitlergruß
Ein Riss geht durch diese Gemeinschaft, die hier unter altertümlichen Bedingungen lebt, und er vertieft sich zusehends. Der Postbote auf dem Fahrrad überbringt den Männern des Dorfes einem nach dem anderen Einberufungsbescheide. Man grüßt sich mit dem Hitlergruß, nur Jägerstätter nicht, er ballt gleichsam die Faust in der Tasche.
Die Kirche fegend, glockenläutend und bei Gottesdiensten in dem Kirchlein des Dorfes sieht man ihn, ein frommer, treuer Katholik. Als die Frage akut wird, ob er den Wehrdienst verweigern soll, führt er mit dem Pfarrer ein Seelengespräch. Dem aber fehlt der Mut, den Jägerstätter aufbringt. Der Geistliche möchte den sturen Bauern überreden, sich anzupassen und bearbeitet ihn sanft aber bestimmt auch mit patriotischen Argumenten. Jägerstätter bleibt konsequent und so werden er und seine Familie zusehends isoliert, angefeindet und ausgegrenzt.
Schließlich lässt er sich doch umstimmen, aber bei der Ankunft in der Kaserne bringt er den Treueeid auf Hitler nicht über die Lippen, landet im Kerker und sein Martyrium beginnt. Seine tapfere Ehefrau kämpft um ihn, während er am Ende nach Berlin überstellt und dort dann zum Tode verurteilt wird. Der hochengagierte Anwalt, der ihm einen juristischen Ausweg anbieten kann, scheitert an der Entschlossenheit Jägerstätters. Zunehmend wird klar, seine Entscheidung ist unumstößlich.
"Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!"
"Ein verborgenes Leben" ist ein Film über das Gewissen. Ein im Glauben begründetes Wissen darum, was gut und was böse ist, unabhängig von äußeren Bedingungen leitet Franz Jägerstätter. "Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!" könnte als Leitwort auch über diesem Film stehen.
Terrence Malick ist ein Autorenfilmer mit künstlerischem Anspruch, der sich lange Zeit genommen hat, einen filmischen Stil zu finden. Inzwischen bringt er in regelmäßigen Abständen Filme in die Kinos, die in erhabenen Bildern und tänzerischen Kamerachoreographien philosophische und theologische Fragen reflektieren. Lebensgeschichten, alltägliche Begebenheiten und tiefe Umbrüche im Leben seiner Figuren formt er um zu kosmischen Dramen. Wo bist Du, Gott? Diese Frage Hiobs und Gottes Verweis auf die Macht und Schönheit seiner Schöpfung bilden nicht selten den Hintergrund der Erzählung.
"The Thin Red Line" ("Der schmale Grat") ist vielleicht sein stärkster Film, der den Kampf japanischer und amerikanischer Truppen um die Pazifikinsel Guadalcanal erzählt. Die Grausamkeit des Krieges speist eine Sehnsucht nach Erlösung, Gewalt und Schönheit, Natur und Gnade stehen sich gegenüber. Ähnlich dreht sich die Erzählung der Kindheits- und Jugendjahre eines Mannes und seiner Familie in "The Tree of Life" um den späteren Verlust des Bruders, der in einem nicht näher benannten Krieg als junger Militär fällt. Die Eltern und Brüder stürzt das in ein schweres Trauma, das schließlich in einer modernen Auferweckungsszene gleichsam am jüngsten Tag sein versöhnliches Ende findet. Die filmischen Mittel und die existenziellen Fragen, die Malick ins Zentrum seines Kinos stellt, finden sich auch in "Ein verborgenes Leben" wieder – insbesondere der Bilder und Geschehnisse reflektierende Gedankenstrom im Voice Over. Hier aber wird weitaus deutlicher die biblische und christliche Prägung zum Grund der Handlung und der Bilder.
Glaubenszeuge gegen das NS-Regime
In seinem jüngsten Film wird die Ausmalung der kleinen Kirche mit biblischen Szenen zum Gleichnis für die Beziehung von Kunst und Glauben. So führt der mutige Bauer an einer Stelle mit dem Maler ein Gespräch, bei dem die Erlösungsbedürftigkeit der Wirklichkeit zur Sprache kommt. Der Maler misstraut gleichsam seinen eigenen Bildern, und bringt die Sehnsucht nach dem Erlöserin böser Zeit zum Ausdruck. Jägerstätter wird so zum Nachahmer Christi, zum Glaubenszeugen gegen das Naziregime, dessen Handeln in der Wirklichkeit das eigentliche Bild Christi ist.
An Malicks Kino kann man einen Hang zur Überwältigung kritisieren. Zu schön sind die Bilder einer reinen Schöpfung, zu rein ist die archaische Welt der Bergbauern, zu eindringlich wirkt vielleicht manches Bibelwort. Dennoch überzeugt der Film darin, dass er die Konsequenz eines allein vom Gewissen bestimmten Handelns hervorhebt. Es ist spürbar, dass Malick dies als Amerikaner nicht geschichtslos meint. Vielmehr ist der politische Hintergrund des Films der Aufstieg der Rechtspopulisten, weltweit wie vor allem dann in den USA unter Präsident Donald Trump.
Es ist anzunehmen, dass Malick den Mut und die christliche Sturheit seines Helden Franz Jägerstätter gerade jetzt aus gutem Grund hervorhebt. Solchen Geist braucht es, um Gewalt, Propaganda und dummer Angepasstheit ein Gegenbild, ein Vorbild in der Nachfolge Christi entgegenzusetzen. Malicks existenzielle Perspektive, gerade im Fokus auf das Gewissen eines Einzelnen, mag unbefriedigend sein. Die Organisation von Menschen im Widerstand, der soziale Aufbau einer Gegenbewegung, die Gruppen von Widerständlerinnen und Gegnern des NS in den Blick zu nehmen wäre sinnvoll. Ein Mensch alleine – und das ist die Schwäche mancher Filme über Heldinnen und Helden des Widerstands – erscheint machtlos gegenüber dem mörderischen Apparat des Unrechtsstaats. Nur die einsame moralische Größe bleibt, ihrer wird letztlich gedacht. Dennoch, Jägerstätter zu gedenken ist richtig und verdienstvoll und darin hat der der Film seine Berechtigung und Wichtigkeit. Solches Gewissen, das Wissen um Gut und Böse, solche Unbeirrbarkeit und Beständigkeit, solche heilige Sturheit sind Quellen jeden gerechten Widerstands.