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Das Gehirn kann nicht anders

Das Gehirn ist immer auf Empfang, das Lernen sucht sich immer vertraute Pfade – ohne bewusstes Einüben oder Aufsagen. Die Kleinsten lernen im Spiel. Auch im Alter zeigt sich, dass der Mensch gar nicht anders kann, als sich Neues anzueignen

ellagrin - Fotolia

Kinder wissen es von Geburt an: Die Welt zu entdecken, Erfahrungen zu machen und sich weiterzuentwickeln, das ist spannend und macht Spaß. Ganz von selbst lernen sie laufen und sprechen. Sie untersuchen staunend alles, was ihnen in die Hände kommt, und stellen Fragen, die so manchen Erwachsenen zum Grübeln bringen. Weder Druck noch Ermahnungen bringen sie dazu – Kinder lernen intuitiv.

Es muss nicht mühsam sein, sich etwas anzueignen

Merkwürdigerweise ändert sich das oft ausgerechnet dann, wenn sie in die Schule kommen. Plötzlich bestimmen Leistungsdruck, vorgegebene Themen und ein enger Zeitplan den Alltag. Versagensangst und mühsames Pauken unverstandener Regeln werden für viele zum ständigen Begleiter des Lernens. Manch einer resigniert, möchte den letzten Schuljahren oder obligatorischen Fortbildungen am Arbeitsplatz am liebsten entfliehen.
Doch Lernen muss nicht mühsam sein. Es gibt schier unzählige Lernorte in Deutschland. In Sportvereinen oder im Kirchenchor, auf Reisen oder in Volkshochschulkursen lernen Menschen oft bis ins hohe Alter hinein mit Begeisterung. Lernen geschieht allerdings nicht nur, wenn Menschen sich bewusst darum bemühen oder spezielle Gruppen und Kurse besuchen.
Nervenzellen und Synapsen im Gehirn bilden ein beeindruckendes Netzwerk, das sich ständig verändert und neu organisiert. Wie bei einem Geflecht aus Trampelpfaden, die durch häufige Benutzung ausgetreten werden und bei Nichtbenutzung wieder zuwachsen, entstehen beim Lernen besondere, mehr oder weniger gefestigte Nervenverbindungen. Dabei werden nicht einfach einzelne Informationen abgespeichert, sondern das Gehirn erkennt von ganz allein Zusammenhänge und Strukturen. Auf diese Weise lernen Kinder zum Beispiel ihre Muttersprache, ohne dass sie dafür je grammatische Regeln auswendig lernen.
All diese Vorgänge laufen nicht nur ab, wenn jemand gerade das Einmaleins übt, sondern immer – ununterbrochen und egal, was er gerade tut. „Das Gehirn kann gar nicht anders, als zu lernen“, betont der Hirnforscher Manfred Spitzer. Man muss also nicht erst das Lernen lernen, um lebenslang offen für Neues zu sein. Lernfähig ist jeder von Geburt an und bis ins hohe Alter hinein.
Während kleine Kinder von Natur aus ganz unbefangen die Welt entdecken, herrschen unter Erwachsenen oft seltsame Vorstellungen davon, wie Lernen ablaufen und was das Ergebnis sein sollte. Viele stellen sich das Gehirn wie einen Muskel vor, den sie zu trainieren versuchen. Da werden Kinder von einem Frühförderkurs zum nächsten geschickt, und Senioren versuchen, ihr Gehirn durch das Lösen von Sudokus fit zu halten. Wer in Quizshows alle Fragen beantworten kann, gilt als besonders gebildet, kann man seine Mitmenschen damit doch trefflich beeindrucken.
Natürlich lassen sich Vokabeln auch durch reines Pauken auswendig lernen: Wer einmal auf eine heiße Herdplatte gefasst hat, hat automatisch gelernt, das künftig besser zu vermeiden.

Kirchengemeinden
bieten viele Lernorte

Eine Sprache wirklich zu sprechen und komplexere Probleme zu lösen, lernt man jedoch nur, wenn man sich von einem Thema begeistern lässt. Hirnforscher Gerald Hüther versteht die Begeisterung sogar als eine Art „Dünger für das Gehirn“. Denn wenn das Gehirn durch positive Erlebnisse aktiviert wird, dann werden opiumähnliche Botenstoffe ausgeschüttet. Das macht nicht nur glücklich, sondern erhöht auch die Konzentrationsfähigkeit, verbessert die Informationsverarbeitung und sorgt dafür, dass Neues besser gespeichert werden kann.
Begeisterung sorgt also für gutes Lernen, und gutes Lernen sorgt dafür, dass man sich glücklich fühlt. Wer das erkennt, der erkennt auch, dass der Mensch quasi zum Lernen gemacht ist. Auch wenn Lernprozesse sich im Alter oft verlangsamen – die Fähigkeit zu lernen verliert unser Gehirn nie. Im Grunde suchen alle Menschen dauernd nach spannenden Neuigkeiten. Sofern diese angeborene Lernfreude nicht durch Angst oder Leistungsdruck überdeckt wird, kann man sicher sein, dass lebenslanges Lernen auch ein Leben lang Freude bereiten kann.
Kindertagesstätten und Konfirmandenunterricht, Bibelkreise und Glaubenskurse, Kirchenchor und Seniorennachmittage – Kirchengemeinden bieten Menschen jeden Alters vielfältige Begegnungs- und Lernorte. Besondere Chancen ergeben sich vor allem dort, wo Jung und Alt Möglichkeiten zur Begegnung finden, die innerhalb der Familien heute oft fehlen. Wo ganz praktisch voneinander gelernt wird und Erfahrungen ausgetauscht werden, wo gemeinsam gefeiert, getrauert, gesungen und gelacht wird, stellt sich mit der Emotionalität die Lernerfahrung oft ganz von selbst ein.