„Solche Flüsse, wie es sie noch auf dem Balkan gibt, kennen wir in Deutschland nicht mehr“, sagt die Umweltwissenschaftlerin Tara Sukic von der Stiftung Europäisches Naturerbe (EuroNatur) in Radolfzell. Die Flüsse seien unverbaut, es gebe Auen, große Sandbänke oder Inseln, zu denen man schwimmen könne.
Sukic betreut für EuroNatur die Kampagne „Rettet das Blaue Herz Europas“. Ein Ziel der Kampagne ist es, den griechisch-albanischen Fluss Aoos/Vjosa einschließlich der frei fließenden Nebenflüsse unter Schutz zu stellen.
Der Aoos beginnt im Pindosgebirge im Nordwesten Griechenlands und fließt über rund 70 Kilometer nach Albanien. Dort schlängelt sich der Wildfluss als Vjosa rund 200 Kilometer weiter bis zur Adriatischen Küste. Seit den 2000er Jahren wurden zahlreiche Wasserkraftwerke und Staudämme entlang der Flüsse geplant. Durch Druck der lokalen Bevölkerung, Naturschutzorganisationen, aber auch der EU geht die Entwicklung nun langsam Richtung Bewahrung der Natur.
Albanien erklärte die Vjosa im März vergangenen Jahres zum „Nationalpark Wildfluss Vjosa“. Auf der Homepage des Nationalparks heißt es: „Hier leben mehr als 1.100 Tierarten, darunter 13, die vom Aussterben bedroht sind.“ Die griechische Regierung hat ihrem Teil des Flusses inzwischen verschieden starke Schutzkategorien zugewiesen. In manchen Bereichen könnten laut Sukic trotz Schutzstatus noch Genehmigungen erteilt oder gebaut werden.
„Dabei zerschneiden Staudämme und Wasserkraftwerke Ökosysteme“, sagt Sukic. Das wäre eine große Belastung für die zahlreichen Tier- und Pflanzenarten, die in den Flüssen leben. „Gerade Fließgewässer bieten mannigfaltige Habitate“, so die Wissenschaftlerin. Etwa durch die verschiedene Größe von Steinen. „Manche Tiere bevorzugen grobkörnige Sedimente, andere feine“, erläutert Sukic. Je nach Fließgeschwindigkeit sei beispielsweise auch der Nährstoff- oder Sauerstoffgehalt unterschiedlich.
Zur Bewahrung des Flussnetzes könnten die Grenzen des bereits bestehenden griechischen Nationalparks Nord-Pindos in Richtung Albaniens erweitert werden. „Das würde es ermöglichen, dieses Schutzgebiet mit dem Vjosa-Wildfluss-Nationalpark zu verbinden, um den ersten grenzüberschreitenden Wildfluss-Nationalpark zu schaffen“, heißt es in einer Mitteilung von EuroNatur.
Um die griechische Regierung zu überzeugen, erforschten mehr als 60 Wissenschaftler den Sarantaporos, einen Nebenfluss des Aoos. Die europäischen und US-amerikanischen Wissenschaftler sind von Ende Juni bis Anfang Juli vor Ort gewesen. „Ein Problem in Griechenland ist, dass die Flüsse extrem unerforscht sind“, sagt Sukic. Bislang konnte die Artenvielfalt nur geschätzt werden. Die neuen Daten sollen bis November ausgewertet und dann griechischen Ministerien, regionalen Behörden und lokalen Gemeinschaften vorgelegt werden.
Zu der Auswertung kann Sukic schon sagen: „Wir waren erstaunt, wie weit flussaufwärts wir noch Aale gefunden haben.“ Unverbaute Flüsse sind für die Wanderungen der Aale von entscheidender Bedeutung. Außerdem sei etwa die Schmetterlingsart „Fledermausschwärmer“ gefunden worden. „Der Fortpflanzungszyklus der Art ist eng mit einem Fluss verbunden“, sagt Sukic.
Der Fledermausschwärmer war früher auch in Deutschland heimisch. Das letzte Exemplar wurde 1987 in Südbaden nachgewiesen. Seitdem gilt der Falter als „verschollen oder ausgestorben“, wie es auf der Homepage des „Rote-Liste-Zentrums“ heißt. Auf dem Balkan könnte der Schmetterling noch gerettet werden.