Eine historisch hohe Rate von Tötungsdelikten, dazu ein anhaltender Massenexodus aus dem benachbarten Nicaragua. Das mittelamerikanische Costa Rica erlebt schwere Zeiten. Ein neuer Plan soll helfen.
In der “Schweiz Mittelamerikas” wächst die Angst, die Alltagskriminalität könnte außer Kontrolle geraten. 655 Tötungsdelikte im Jahr 2023 bedeuten für Costa Rica einen traurigen Rekord, wie die Organisation für gerichtliche Untersuchungen (OIJ) kürzlich mitteilte. Für das Urlaubsparadies, das für Regenwald, Vulkane, traumhafte Strände, den Verzicht auf eigene Armee und eine nachhaltige Wirtschaftspolitik steht, wirft das Fragen auf.
Die Entwicklung bringt den amtierenden Präsidenten Rodrigo Chaves in politische Bedrängnis. Nun legte der Regierungschef einen neuen Sicherheitsplan vor, der unter anderem vorsieht, die Strafen für Jugendliche zu erhöhen, die Auslieferungen von straffälligen Ausländern auszuweiten und die Dauer der Untersuchungshaft zu verlängern.
Das Land muss eine enorme humanitäre Herausforderung wegen des anhaltenden Massenexodus aus dem benachbarten Nicaragua bewältigen. Durchreisende Migranten aus Südamerika kommen hinzu. Allein im vergangenen Jahr haben rund 100.000 Menschen wegen der anhalten Repression und staatlicher Gewalt Nicaragua verlassen. Inzwischen wird in Costa Rica der anfangs wohlwollende Ton gegenüber den Migranten rauer.
Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst kritisierte in Zusammenhang mit der Tötung eines Polizisten, dass Präsident Chaves das Verbrechen mit Migrationsfragen in Verbindung brachte: “Dass eine bestimmte Tat benutzt wurde, um einen allgemeinen Rundumschlag gegen Menschen verschiedener Nationalitäten zu rechtfertigen, die nach internationalem Schutz suchen”, sei bedauerlich.
Costa Ricas Sicherheitsminister Jorge Torres sprach der eigenen “domestizierten Gesellschaft” derweil die Fähigkeit ab, sich gegen die immer mächtiger werdende Drogenmafia wehren zu können. Dass die organisierte Kriminalität in einem Land ohne eigene Armee immer mehr Zulauf gewinnt, könnte aber auch an der wachsenden Perspektivlosigkeit liegen. Laut einem aktuellen Bericht ist die Armutsrate im OECD-Land Costa Rica unter Kinder und Jugendlichen auffällig hoch. Armut unter Minderjährigen führt oft dazu, dass sich die Betroffenen vom schnellen Geld der Mafia verführen lassen.
Die katholischen Bischöfe in Costa Rica haben die Politik angesichts des “historischen Anstiegs” der Mordrate zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung aufgerufen. Ziel müsse es sein, einen neuen Gesellschaftspakt zu vereinbaren, um die Ursachen der Entwicklung entgegenzutreten. “Wir können nicht zulassen, dass Costa Rica zu einem Blutbad wird”, schrieben die Bischöfe in einem Brief in dieser Woche. Sie sehen strukturelle, politische, soziologische und historische Ursachen für den Gewaltanstieg: “Wir sprechen zum Beispiel von der extremen Polarisierung unserer Gesellschaft, von der Ungleichheit, die so viele Familien ins Elend und in den Hunger stürzt, während sich das Vermögen einiger weniger Jahr für Jahr verdoppelt oder gar verdreifacht”, heißt es in dem Schreiben.