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Cleverer Schachzug

In Ziegenhain in Nordhessen wurde die Konfirmation erdacht. Damit gelang Martin Bucer und dem Landgrafen ein kluger Kompromiss. Nur Luther war nicht einverstanden

Jens Schulze

ZIEGENHAIN – Der Schwalm-Eder-Kreis in Nordhessen vermarktet sich gern als „Rotkäppchenland“. In der Tat erinnert die traditionelle Tracht an Illustrationen des Grimm-Märchens. Rechtzeitig zum Reformationsjubiläum haben die Touristiker ein weiteres Ereignis ihrer Gegend entdeckt: Die Erfindung der Konfirmation.

Landgraf feierte sich als „neuer Herkules“

„Überall auf der Welt kennt man die Konfirmation, aber kaum jemand weiß, dass sie hier in Ziegenhain erfunden wurde“, sagt Sylvia Stock von der Tourismus-Organisation „Grimmheimat Nordhessen“. 1539 – gut 20 Jahre nach dem Thesenanschlag Martin Luthers – wurde die Einführung der Konfirmation in dem kleinen Städtchen beschlossen. Eine kleine Tafel an der 1667 erbauten Schlosskirche weist darauf hin. In diesem Jahr sollen Stadtführung und ein interaktiver Stadtrundgang die Besucher in die Anfangszeit der Konfirmation zurückversetzen.
Ziegenhain war zur Reformationszeit mit etwa 4000 Bewohnern die viertgrößte Stadt der Landgrafschaft Hessen, erklärt Stadtführer Eberhard Ahrend. Sie galt als uneinnehmbar, da Landgraf Philipp die Stadt als Wasserfestung ausbaute. Hier war die Kriegskasse des Schmalkaldischen Bundes, des Bündnisses protestantischer Fürsten, vor Diebstahl absolut sicher. Viele Gebäude aus der damaligen Zeit stehen noch heute. Dass hier die Konfirmation erfunden wurde, ist vor allem Philipp zu verdanken. Schon zu Lebzeiten ließ er sich angesichts seiner Erfolge bei der Einführung der Reformation als „neuer Herkules“ feiern.
Vorausgegangen war ein heftiger Streit verschiedener reformatorischer Strömungen um die Taufe. Die Bewegung der Täufer war der Auffassung, dass der Taufe der Glaube vorausgehen müsse, also faktisch nur Erwachsene getauft werden könnten. Die Reformatoren hingegen hielten an der traditionellen Säuglingstaufe fest.
Philipp ersann einen diplomatischen Schachzug: Er bat den elsässischen Reformator Martin Bucer (1491-1551) um Vermittlung. Und der präsentierte einen verblüffend einfachen Kompromiss: Einerseits wird die Säuglingstaufe beibehalten, andererseits müssen die Heranwachsenden einen Katechismusunterricht absolvieren, der in einer symbolischen Handlung vor der Gemeinde gipfelt. Dadurch, so die Idee, könnten sie nachträglich ein bewusstes „Ja“ zu ihrer Taufe sagen.

Verbindlicher Unterricht in Glaubensfragen

In Ziegenhain, heute ein Stadtteil von Schwalmstadt, entstand unter der Federführung Bucers die „Ziegenhainer Zuchtordnung“. In ihr wurde unter anderem der verbindliche Unterricht in Glaubensfragen für alle Kinder angeordnet.
Nur Martin Luther war von der Idee zunächst wenig begeistert – die symbolische Handlung erinnerte ihn zu sehr an das katholische Sakrament der Firmung. So fand die Konfirmation erst ab dem späten 17. Jahrhundert größere Verbreitung in Deutschland und darüber hinaus.
„Es ist eine Sensation, dass in diesem kleinen Städtchen die Konfirmation entstand und sich im Protestantismus etablierte“, sagt Konrad Nachtwey, Direktor des Museums der Schwalm.
Das Alte Schloss, Ort der Entstehung der „Ziegenhainer Zuchtordnung“, scheidet als Sehenswürdigkeit allerdings aus. Hier steht direkt neben der Kirche und mit Stacheldraht gesichert heute eine Justizvollzugsanstalt. Dafür gibt es seit 2014 einen 21 Kilometer langen „Katechismuspfad“ zu den Themen Abendmahl, Vaterunser, Zehn Gebote, Taufe und Glaubensbekenntnis.

Stadtführung „Ziegenhain – Geburtstort der Konfirmation“: http://u.epd.de/rm0; Katechismuspfad: www.katechismuspfad.de.