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Endspurt für Caravaggio-Schau in Rom – mehr als 400.000 Besucher

Lange Zeit war Caravaggio vergessen. Doch seit seiner Wiederentdeckung vor fast 75 Jahren erlebt der exzentrische Künstler einen regelrechten Hype – gerade zu beobachten bei der großen Caravaggio-Schau in Rom.

Seit Wochen täglich dasselbe Bild vor der Nationalgalerie für Alte Kunst in Rom: Teils bis Mitternacht warten Menschen auf Einlass in die Ausstellung “Caravaggio 2025”. Bereits mehr als 400.000 haben die 24 Meisterwerke von Michelangelo Merisi (1571-1610) genannt Caravaggio gesehen, während Tausende kein Zeitfenster mehr ergattern konnten. Nun wurde die Schau bis 20. Juli verlängert.

Für die Ausstellung, die auch anlässlich des Heiligen Jahres der katholischen Kirche stattfindet, haben die Kuratorinnen Francesca Cappelletti und Maria Cristina Terzaghi und Kurator Thomas Clement Salomon Werke aus öffentlichen und privaten Sammlungen aus Italien und aller Welt zusammengetragen. Unter den in vier Sälen chronologisch gehängten Bildern sind Jugendwerke des lombardischen Meisters wie “Der kranke Bacchus”, das 2021 in Madrid wiederentdeckte Christus-Gemälde “Ecce Homo”, die erste Version der “Bekehrung des Paulus” oder auch Caravaggios letztes bekanntes Bild, “Das Martyrium der Heiligen Ursula”.

Bilder wie dieses, bei dem die Heilige wie versteinert auf den vom Hunnenkönig Attila abgeschossenen Pfeil blickt, der gerade ihr Herz durchbohrt, ziehen die Betrachter in den Bann. Auch das Gemälde “Judith und Holofernes” beeindruckt: Die junge Frau mit den klassischen Zügen schaut in einer Mischung aus Ekel und Entschlossenheit auf den verhassten Mann, dessen Kopf sie gerade mit einem Dolch abzutrennen versucht.

Auch wenn solche hochdramatischen Szenen typisch sind für den exzentrischen Caravaggio – man sollte nicht der Versuchung erliegen, sein Werk aufs Biografische engzuführen, warnt der Kunsthistoriker Martin Raspe von der deutschen Biblioteca Hertziana in Rom. “Der Künstler als Raufbold, als Temperamentsbündel: Das kann man immer am besten erzählen. Aber es gibt keinen direkten Kurzschluss zwischen seinem Leben und Werk.” Dabei wirkt Caravaggios unstete Vita fast filmreif: Vom Papst aus Rom verbannt, weil er im Streit einen päpstlichen Offizier erschlagen hatte, war er lange auf der Flucht, blieb aber äußerst produktiv. Auf der Rückreise nach Rom, wo er auf Begnadigung hoffte, starb er unter nicht ganz geklärten Umständen in Porto d’ Ercole nahe Grosseto mit nicht einmal 39 Jahren.

Bereits zu Lebzeiten galt der Mann, der sich nach dem Herkunftsort seiner Eltern benannte, als etwas Besonderes, geriet aber bald in Vergessenheit, wie überhaupt die Barockkunst lange nicht sehr geschätzt war. Erst der italienische Kunsthistoriker Roberto Longhi leitete seine Wiederentdeckung 1951 mit der Ausstellung im Mailänder Palazzo Reale ein. “Er ist total in Mode, und das seit Jahrzehnten, es ist geradezu ein Hype”, wünscht sich Raspe mehr Verhältnismäßigkeit bei der Caravaggio-Verehrung. Auf jeden Fall sei es ihm gelungen, die Kunst des Manierismus zu überwinden, die sich an festen Regeln und den Werken von Raphael, Leonardo, Michelangelo orientierte.

Heute sind rund 90 Werke von Caravaggio bekannt, teils verschiedene Ausführungen desselben Motivs. Charakteristisch bei ihm ist auch die oft dramatische Lichtregie, erläutert Raspe. Bei der “Berufung des Matthäus” etwa fällt ein Lichtstrahl auf den ahnungslosen Mann am Tisch, auf den der gerade eintretende Christus deutet. Hell-Dunkel-Kontraste erzeugen Theatralik, setzen einzelne Figuren und Gesten ins Licht und bringen vermeintlich realistische Szenen hervor.

“Er geht mit dem Auge näher an die Figuren heran, sie sitzen größer im Bild, sind teils unvollständig, überdecken einander”, erklärt Raspe. “Es sind keine Schnappschüsse, sondern sorgfältig konstruierte Szenen – das tut aber dem Künstlerischen keinen Abbruch”, so der Experte. “Man soll nachempfinden, was Judith, Ursula, Matthäus oder Paulus erleben.”

Interessant auch, dass weder Zeichnungen noch sogenannte “Bozzetti” von Caravaggio überliefert sind: Skizzen auf Papier, die man Auftraggebern präsentierte, dann in Raster einteilte und quadratweise übertrug. “Offenbar hat er alles direkt auf die Leinwand gebracht”, erklärt Raspe. “Auch das macht ihn besonders.” Allerdings: Mehrfach wurden fertige Bilder von Caravaggios Auftraggebern abgelehnt.

So befindet sich im Palazzo Pallavicini Rospigliosi eine erste, zurückgewiesene Fassung der “Bekehrung des Paulus”. Dennoch muss auch die zweite Version, die heute gegenüber der “Kreuzigung des Petrus” in der Kirche Santa Maria del Popolo hängt, fast “ein Schlag ins Gesicht” gewesen sein, sagt Kunsthistoriker Raspe: Das Pferd reckt dem Betrachter sein Hinterteil entgegen, während Paulus am Boden liegt mit dem Kopf Richtung Bildvordergrund. “Schmutzige Füße, Pferdehufe oder sonstige sensationelle Darstellungen galten in der Kirche als nicht angemessen.”

Ein Grenzfall sei die berühmte “Pilgermadonna” in der Kirche Sant’Agostino. Hauptsache seien nicht die dreckigen Füße der beiden Pilger, die vor der Madonna knien, sagt Raspe. “Das ist ein expressives Bildmotiv, das uns die religiöse Szene näher bringen soll. Caravaggios Ziel ist eine neue Spiritualität des Alltäglichen.” Auch wenn unklar sei, wie der Maler zum Glauben stand: Das Zeitalter der Gegenreformation verlangte seinen Zeitgenossen ein Bekenntnis ab. “Man hat den Eindruck, Caravaggio möchte das Religiöse neu sehen”, ist der Experte überzeugt.

Das zeigt sich auch in einem Werk, das auf den ersten Blick keinen religiösen Bezug hat: dem “Obstkorb” mit seinen herrlich plastisch gemalten Früchten vor hellem Hintergrund, für Raspe das modernste, untypischste und beste Bild von Caravaggio: Indem der Maler die Natur isoliert, zeigt er sie als Gottes Werk und bringt den Betrachter dazu, darüber nachzudenken, meint der Kunsthistoriker. Im “Emmausmahl” taucht derselbe Früchtekorb wieder auf: Er ist genau vor Christus platziert, der mit den beiden Jüngern am Tisch sitzt. Warum, das gehört zu jenen Rätseln, die den Maler Caravaggio bis heute spannend machen.