Die Schokolade lockt. Dunkler Glanz in silberner Folie, ein Duft nach Kakao und Versprechen. Eben noch der Vorsatz: keine Süßigkeiten heute. Kurz darauf knistert das Papier. Es knackt, ein Stück bricht ab, schmilzt auf der Zunge – mmmh, so süß, mit einer Spur von Bitterkeit. Denn spätestens beim Blick auf die Waage bereut man den schwachen Moment. „Eine kleine Sünde“, heißt es dann mit einem entschuldigenden Lächeln. Sünde? Da geht es doch eher um Mord, Totschlag oder wenigstens darum, Opas alte Jazzplatten zu verstecken. Und doch – in dieser Redewendung „Sünde“ steckt eine Wahrheit: Handeln und Einsicht stimmen oft nicht überein. Genau hier, in dieser Spannung von Wollen und Tun, hat der Buß- und Bettag seinen Platz.
Bußtage entstanden ursprünglich aus Angst
Was ist das überhaupt, ein Bußtag? Ursprünglich entstanden solche Tage aus Angst. Wenn Seuchen, Missernten oder Kriege das Land überzogen, riefen Kirche und Obrigkeit zum Fasten und Beten auf. Gott sollte gnädig gestimmt werden, sein Zorn besänftigt. Mit der Reformation änderte sich die Blickrichtung. Martin Luther betonte, dass nicht Gott sich ändern müsse, sondern der Mensch. Buße bedeutet: innehalten, prüfen, wo man schuldig geworden ist – an anderen, an sich selbst, an der Welt – und sich neu ausrichten. Nicht die himmlische Milde steht im Mittelpunkt, sondern die menschliche Wahrhaftigkeit. Plötzlich ging es nicht mehr darum, Gottes Zorn zu fürchten, sondern sich an seinem Willen zu orientieren – als Wegweiser für ein gutes und gelingendes Leben.
Buße heißt Veränderung der inneren Haltung
Die Bibel erzählt davon in der Geschichte von Jona: Als er der Stadt Ninive – Symbol für Maßlosigkeit und Unrecht – den Untergang ankündigt, fasten und beten die Menschen, legen Zeichen der Reue an – und Gott wendet sich von seinem Zorn ab. Noch klingt die Idee an, man könne durch äußere Zeichen der Umkehr Gott versöhnlich stimmen und das Unheil abwenden. Gleichwohl zeigt die Geschichte: Umkehr setzt beim Menschen an – er ändert seine innere Haltung, damit das Unheil nicht seinen Lauf nimmt.
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Buße verlagerte sich von äußeren Ritualen zur inneren Erkenntnis. Paulus beschreibt Sünde als Trennung – von Gott, aber auch vom eigenen Ursprung. Luther griff das auf: Schuld bezeichnet nicht nur moralisches Fehlverhalten, sondern die Entfremdung des Menschen von sich selbst. Im heutigen Sprachgebrauch wirkt das Wort „Sünde“ schwer, fast altmodisch. Doch die dahinterstehende, uralte Erfahrung bleibt: Der Mensch handelt gegen seine Überzeugung, verliert Maß und Richtung.
Die Summe unserer alten Instinkte
Paulus’ Satz „Ich tue nicht, was ich will“ (Römer 7,15) beschreibt das wie ein psychologisches Grundgesetz: Wir kämpfen täglich – mal tapfer, mal erfolglos – mit dem inneren Schweinehund. Hinter dieser augenzwinkernden Bezeichnung verbirgt sich nichts anderes als die Summe unserer alten Instinkte – das, was uns an die Couch fesselt, wenn wir eigentlich laufen gehen wollten, und zum Kühlschrank treibt, obwohl wir längst satt sind.
Die Psychologie spricht von kognitiver Dissonanz: Wir wissen, was richtig wäre, und tun doch das Gegenteil. Evolutionsbiologisch ist das kein Rätsel der Moral, sondern ein uraltes Programm. Der Mensch trägt Instinkte in sich, die aus der Steinzeit stammen: den Drang, zu überleben, sich durchzusetzen, Vorräte anzulegen. Damals sicherte das schnelle Zugreifen das Überleben; heute führt es zum Griff in den Kühlschrank.
Kein Teufel, um in Versuchung zu geraten
Was einst den Alltag des Jägers und Sammlers bestimmte, wirkt noch heute nach. Das Gehirn belohnt, was früher notwendig war – Zucker, Besitz, Dominanz. Die moderne Welt aber spielt diese Programme gegen uns aus: Werbung, Überfluss, Konsumlogik – heute ist kein Teufel nötig, um in Versuchung zu geraten. Unser Verstand ist rasant gewachsen, unsere Vernunft kommt nicht hinterher. Die Evolution hat uns Werkzeuge gegeben, die Gewaltiges erschaffen konnten. Aber sie gab uns keine Bedienungsanleitung für das Gewissen. Zwischen Trieb und Einsicht, zwischen Steinzeit und Supermarkt steht der Mensch – hin- und hergerissen zwischen biologischem Erbe und moralischer Erkenntnis. Buße erhält in diesem Spannungsfeld eine neue Bedeutung: Sie ist der Versuch, sich selbst zu verstehen – dem inneren Schweinehund auf die Spur zu kommen und ihn ein Stück weit zu zähmen.
Der Kampf um eine bessere Welt
Seit der Mensch denken kann, versucht er, seine Unvollkommenheit zu überwinden und seine Möglichkeiten zu erweitern. Erst mit Waffen, dann mit Werkzeugen, schließlich mit Maschinen. Jede Erfindung sollte ihn unabhängiger, freier, stärker machen. Heute heißt dieses Streben: künstliche Intelligenz – der Versuch, Denken und Entscheidung an Programme zu delegieren, die – so die Hoffnung – keine Fehler mehr machen. Aber das hat seine Tücken. Im Film „Avengers: Age of Ultron“ erschaffen Menschen eine künstliche Intelligenz, die die Erde beschützen soll: Ultron. Die erkennt nüchtern: Die Menschheit selbst ist die größte Bedrohung für die Schöpfung – also will er sie vernichten. Eine andere Super-Intelligenz, Vision, widerspricht: „Ja, die Menschen sind fehlerhaft. Aber gerade das macht sie schön.“ In diesem Satz steckt Theologie: Nicht trotz, sondern in seiner Fehlbarkeit ist der Mensch liebenswert – das klingt wie ein Echo der Liebeserklärung, die Gott den Menschen in Jesus Christus gemacht hat.
Menschlichkeit heißt Fehlbarkeit
Ähnlich in der legendären Science-Fiction-Reihe Perry Rhodan: Die Arkoniden, einst eine in Wissen und Technik überragende Rasse aus den Tiefen des Alls, überließen die Führung ihrer Zivilisation einem Computerregenten. Makellos, fehlerfrei, unbestechlich – und doch ging das Lebendige verloren. Wo Perfektion herrscht, versiegt das Mitgefühl.

Beide Geschichten erzählen vom gleichen Paradox: Wenn der Mensch seine Fehlbarkeit ablegt, verliert er seine Menschlichkeit. Eine Maschine kann funktionieren – aber nicht fühlen, zweifeln, lieben, irren. Hier berührt der Gedanke der Buße unsere Gegenwart. Der Buß- und Bettag erinnert daran, dass es beim Menschsein nicht um Fehlerlosigkeit geht, sondern um die Fähigkeit, das eigene Tun zu überdenken und sich immer wieder zu korrigieren. Buße heißt: innehalten, erkennen, neu beginnen.
Buße ist eine Haltung
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, nennt Buße „den Weg vom Denken ins Handeln“ – und genau darin liegt die Herausforderung heute: Buße ist keine bloße kirchliche Tradition, kein moralischer Zwang, sondern eine Haltung, die Veränderung möglich macht. Und mehr noch: eine Haltung, die die Welt braucht. Denn die Krisen unserer Zeit – Krieg und Ungerechtigkeit, Hunger, Klimawandel – sind Folgen menschlicher Maßlosigkeit und Verdrängung. Ohne die Bereitschaft zur Umkehr, im Kleinen wie im Großen, wird Erneuerung unmöglich.
Sich selbst wahrhaftiger begegnen
Da liegt sie wieder, die Tafel Schokolade. Greift man zu, lässt man’s bleiben? Ein Stück Schokolade stürzt niemanden in die Sünde. Aber jeder kleine Augenblick des Ringens steht sinnbildlich für das große menschliche Paradox: das Richtige zu erkennen – und etwas anderes zu tun. Der Buß- und Bettag sagt: Buße bedeutet nicht, Gott versöhnlicher zu stimmen – sondern sich selbst wahrhaftiger zu begegnen. In dieser Wahrhaftigkeit liegt der Anfang jeder Veränderung – und genau die Freiheit, die uns als Menschen ausmacht.
