„Wachset und mehret euch und füllet die Erde“ – was Gott schon im Schöpfungsbericht dem Menschen aufträgt, ist ein Prinzip für alles Lebendige: Die Welt ist in Bewegung.
Kornblumen und Mohn als „blinde Passagiere“
Das ist bei den eigentlich unbeweglichen Pflanzen nicht auf den ersten Blick ersichtlich, aber in Wald, Feld und Garten trifft man auf Migranten, wohin man schaut. Die nord- und mitteleuropäische Pflanzenwelt war eher karg – Flechten, Samen und Beeren waren wahrscheinlich so ziemlich das Einzige, was die steinzeitlichen Menschen nach der letzten Eiszeit vor 10 000 Jahren in unserer Region vorfanden. Richtiges Getreide kam erst mit einer Einwanderungsbewegung aus dem Vorderen Orient in Westfalen und Lippe an, ebenso wie Erbsen oder Linsen. Als „blinde Passagiere“ im Saatgetreide reisten wahrscheinlich auch Klatschmohn und Kornblumen mit, die sich mit dem Ackerbau ausbreiteten.
Ein neuer Schub von Kulturpflanzen kam mit der Expansion der Römer nach Norden: Pflaumen, Äpfel, Birnen und Kirschen waren über die orientalischen und griechischen Kulturen nach Rom eingewandert und fanden ihren Weg weiter nach Norden. „Hätten wir nicht diese Zuwanderung, wir würden noch heute an Holzäpfeln nagen und Vogelkirschen essen“, schreibt der ehemalige Studienleiter der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege, Josef Heringer. Mit der Ausbreitung des Christentums waren es häufig Mönche, die Nahrungspflanzen weiter verbreiteten.
Aber nicht nur Essbares wurde im nordwestlichen Europa gerne kultiviert. Auch das Schöne reizte die Menschen, und so gaben sie sich alle Mühe, exotische Pflanzen im rauen Klima der Region anzusiedeln. Kreuzfahrer zum Beispiel brachten prächtige, wunderbar duftende Rosen aus Damaskus mit – die Damaszener-Rosen. Irgendwann im Mittelalter kamen die Tulpen aus der Türkei und lösten einen wahren Boom aus. Orientalische Gärten wurden Mode, in denen auch Hyazinthen und Narzissen blühten. In den Niederlanden waren Tulpen bei der gehobenen Mittelschicht und dem Adel so begehrt, dass sie zu einem Spekulationsobjekt wurden und 1637 sogar einen Börsencrash hervorriefen.
Viel Weitgereistes im deutschen Bauerngarten
Die Entdeckung Amerikas malte weitere Farbflecke in europäische Gärten. Sonnenblumen oder Indianernesseln sind heute nicht mehr wegzudenken aus unserer Blumenvielfalt. Kürbis oder Paprika wurden in Deutschland lange Zeit als Zierpflanze geschätzt, bevor man entdeckte, dass sie einen Nutzen über ihre Schönheit hinaus besitzen. Vielleicht war man ihrer Verträglichkeit gegenüber ähnlich skeptisch wie bei der Kartoffel, die Friedrich der Große ja fast mit Gewalt einführen musste und die heute als so deutsch gilt wie kaum etwas anderes.
Auch in den „typisch deutschen“ Bauerngärten finden sich jede Menge Einwanderer: Phlox und Dahlien aus Amerika, Hortensien aus Ostasien und Ringelblumen sowie Stockrosen aus dem Mittelmeerraum. Die prächtigen Pfingstrosen brachten die Mönche ursprünglich als Heilpflanzen mit nach Norden, während das zierliche „Tränende Herz“ aus Japan stammt. Südafrika schließlich ist mit der Pelargonie vertreten.
Die ganze Welt im heimischen Garten: Fremdes wurde nach und nach zu Gewohntem und schließlich zur Selbstverständlichkeit – das ist bei Pflanzen nicht anders als bei Menschen.