Von George Orwell kennen die meisten Menschen vermutlich „1984“ (1949) oder „Farm der Tiere“ (1945). Weniger bekannt sind die inzwischen in fünfter Auflage unverändert nachgedruckten und beeindruckenden Reportagen, die Orwell zwischen März und November 1945 als Kriegsberichterstatter für prominente Zeitungen des noch bestehenden Empire wie „The Observer“ und „Tribune“ schrieb.
Einerseits beeindrucken sie, weil man der nüchternen Sprache nicht anmerkt, dass Orwell während seines Aufenthaltes im zerstörten Deutschland an einer Lungenentzündung erkrankte und außerdem seine Frau nach einer an sich harmlosen Operation starb. Andererseits beeindrucken sie, weil Orwell nicht nur aus Köln, Nürnberg, Stuttgart und Wien berichtete, sondern auch allgemeine Erwägungen darüber anstellte, wie man mit den besiegten Deutschen umgehen sollte, und wie sich die Zukunft im total zerstörten Europa entwickeln könnte.
Bulldozer und Trümmer
„Es gibt keine Wasserleitungen mehr, kein Gas, keine Verkehrsmittel und Strom nur für essentielle Einrichtungen wie die elektrischen Öfen der Bäckereien“ heißt es am Anfang des Berichtes aus Köln vom März 1945. US-amerikanische Bulldozer räumen die von Trümmern der Häuser versperrten Straßen.
Er schildert durchaus kritisch die Auswirkungen der Bombardements und warnt vor jeder Rache an den Besiegten: „Rache ist sauer“. Ihn interessieren Schicksale jüdischer Menschen ebenso wie die Ernäh-rungslage der deportierten ausländischen Zwangsarbeiter, und er beobachtet gut: Im bayerischen Dorf ist die Katastrophe überhaupt nicht wahrgenommen worden, und die Bewohner gehen unbeküm-mert ihrem Alltag nach.
Was wäre wenn …
Der Preis, den damals Menschen auf allen Seiten für die Freiheit zahlen mussten, war, wie die Reportagen Orwells deutlich machen, sehr hoch. Aber was wäre passiert, wenn die Alliierten die Deutschen sich selbst überlassen hätten, vor der Kapitulation und nach der Kapitulation?