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Blaue Wunder

Mehr Menschen sollten an der Gottesdienstplanung und -gestaltung beteiligt werden. Aber dazu braucht es Mut, Nervenstärke – und manchmal auch ein bisschen Bereitschaft zum Risiko

Den Gottesdienst feiert die GANZE Gemeinde. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen, gerade in evangelischen Gemeinden. Sie berufen sich ja auf das „allgemeine Priestertum aller Gläubigen“ (manche sagen neuerdings: aller Getauften): Es gibt keinen Hohepriester mehr, der zwischen Gott und Mensch vermitteln müsste. Gott ist für jeden Menschen da; ganz direkt, unmittelbar – ohne Vorzimmer, Anmeldung oder Vermittlungsgebühr.
Und doch besteht eine Tendenz, die Planung und Ausführung der Gottesdienstfeier dem Profi zu überlassen, der Pfarrerin oder dem Pfarrer.
Das ist verständlich. Aber nur die zweitbeste Lösung.
Gut, im Sinne des evangelischen Kirchenverständnisses richtig und vielversprechend wäre es, die Gemeinde stärker zu beteiligen. Dazu braucht es allerdings ein bisschen Mut, Nervenstärke und, ja: manchmal auch ein bisschen Bereitschaft zum Risiko.
Denn wenn jene in den Gottesdienst kommen, die bislang dort nicht waren oder schon seit vielen Jahren nicht mehr, und sich auch noch an der Gestaltung der Feier beteiligen, kann man sein blaues Wunder erleben (siehe Seite 2). Ist doch auch klar. Woher sollten sie wissen, wie es geht?
Woher sollen sie es wissen? Genau dafür wären ja die Fachleute da. Pfarrerin. Pfarrer. Presbyterin und Presbyter. Das müsste man noch viel stärker ins Bewusstsein bringen: DIE können Hilfestellung geben, Tipps, Anregungen. Auch auf Grenzen hinweisen, wenn geplante Beiträge oder das Verhalten im Gottesdienst zu sehr abweichen sollten von dem, was die evangelische Kirche für unverzichtbar richtig hält. Aber da kann man getrost ein weites Herz haben; viel weiter, als man vielleicht im ersten Augenblick denken mag.
Denn ein blaues Wunder erleben – das kann durchaus bereichernd sein. Alte Denk-, vielleicht auch Glaubensmuster aufbrechen. Oder zumindest zum Neubedenken zwingen.
Wer Menschen ansprechen will, ihr Interesse wecken, sie „abholen“ will, der muss flexibel sein. Nicht nur das erklären können, was er (oder sie) für richtig hält. Sondern vor allem auch das kennen, was den ANDEREN bewegt. Er muss nicht nur vom christlichen Glauben her antworten können. Sondern die Fragen und Themen der Menschen auch kennen.
Und auch dazu gibt es Fachleute. Bei den Jugendlichen und Kindern: Da braucht es Menschen, die selbst nah genug dran sind; in Alter, Ton und Trends. Die muss man fragen und in die Gottesdienstplanung einbinden. Aber warum nicht auch die Altenarbeit einladen, Krankenhauspersonal, Leute aus dem Kindergarten oder den Schulen? Mit dem Tierschutzverein einen Gottesdienst zum Thema Schöpfung: Warum nicht?
Das mögen ungewöhnliche Gottesdienste werden. Aber ist das schlimm? Jeder kann und soll mit seiner Vorstellung von Gott und dem Leben vorkommen – auch wenn dabei die verblüffendsten Fragen auftauchen. Souverän bleiben. Das hält unsere Frohe Botschaft von der Liebe und Gnade Gottes aus.