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«Blau weckt die Sehnsucht nach dem Reinen»

Er wurde erst spät ein professioneller Maler – und sollte ein Expressionist der ersten Stunde werden. Der Moskauer Wassily Kandinsky studierte Kunst in München. Der Mitbegründer des “Blauen Reiters” und Bauhaus-Lehrer starb vor 75 Jahren bei Paris.

Düsseldorf (epd). Es sind die Farben, mit denen er einem Hafenbildnis oder einer bayerischen Dorfstraße Tiefe verleiht. Zur Farbe Blau schrieb der russische Maler Wassily Kandinsky: "Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels."

Der Künstler empfand Farben nicht nur als optische Reize, sondern ordnete ihnen Klänge, Gerüche und Formen zu. Die Erschaffung seiner Werke mittels "Farbklängen" glich in seinen Augen der Arbeit von Komponisten. Kandinsky wurde 1866 als Sohn eines Teehändlers in Moskau geboren. Am 13. Dezember 1944 – vor 75 Jahren – starb er in Neuilly-sur-Seine, einem Vorort von Paris.

Der Maler, der als Schüler Cello- und Klavierspielen lernte und Zeichen- und Malunterricht erhielt, schlug beruflich zunächst einen Weg fernab der Kunst ein: Er studierte in seiner Heimat Jura und Volkswirtschaft, promovierte und übernahm 1895 die künstlerische Leitung einer Druckerei. Dann erst entschied er sich beruflich für die Malerei – und zog ins weit entfernte München. Nach Unterrichtsjahren an privaten Malschulen studierte er ab 1900 an der Kunstakademie München bei Franz von Stuck. Ab 1901 gehörte Kandinsky zur Künstlervereinigung "Phalanx".

Ein Sommer in Murnau

Dort lernte er die Künstlerin Gabriele Münter kennen. Sie wurde seine Lebensgefährtin, gemeinsam reisten sie durch Europa – und verbrachten ab 1909 die Sommer im bayerischen Murnau am Staffelsee in Münters dortigem Haus. Die gemeinsame Arbeit während der Sommermonate im Münter-Haus sollte die abstrakte Malerei in Deutschland nachhaltig prägen.

Starke Einflüsse übten vor allem die Werke von Vincent van Gogh, Henry Matisse und Pablo Picasso auf Kandinsky aus. Etwa ab 1909 entwickelte er zahlreiche Ideen für eine neue Kunstform, bei der sich Farben und Formen frei einsetzen lassen sollten.

Gemeinsam mit Franz Marc gründete Kandinsky 1911 die Künstlergruppe "Der Blaue Reiter" – auch als Protest gegen die "Neue Künstlervereinigung München", die sein abstraktes großformatiges Bild "Jüngstes Gericht/Komposition V" für eine Ausstellung abgelehnt hatte. Wie Kandinskys Kompositionen VI und VII gehörte auch die Komposition V in den Umkreis von Heils- und Endzeiterwartungen vor dem Ersten Weltkrieg.

Die Farbe der Sehnsucht

Blau gilt seit der Romantik als Farbe der Sehnsucht nach geistiger Erfüllung. Der Name "Blauer Reiter" kann als Kurier einer Erneuerungsbotschaft in der Malerei gelten. Kandinsky verließ als Künstler die Welt des Gegenständlichen und fand zu einer neuen Farb- und Formensprache. Er löste fortan auf seinen Bildern die Gegenstände mehr oder weniger auf, "damit sie nicht alle auf einmal erkannt werden können", wie er sagte. Gleichzeitig baute er abstrakte Formen in seine Bilder ein, die "rein malerisch wirken" mussten.

1914 kehrte er nach Moskau zurück, wo er später in verschiedenen revolutionären Künstlergremien tätig war und 1920 erster Leiter des Instituts für Künstlerische Kultur wurde. Die Verhältnisse in der neuen Sowjetunion – vor allem wohl die Einschränkungen der Kunstfreiheit durch die neuen kommunistischen Machthaber – wurden für Kandinsky allerdings zunehmend unerträglich. 1921 folgte er einem Ruf von Walter Gropius an das schon damals legendäre Bauhaus, lehrte zunächst in Weimar sowie später in Dessau.

Von den Nazis diffamiert

Als die Nationalsozialisten 1933 das Bauhaus schlossen, emigrierte Kandinsky nach Paris. Zuvor hatten die Nazis seine Kunst als "entartet" diffamiert und 57 seiner Werke aus deutschen Museen beschlagnahmt. Die ehemalige Geliebte Gabriele Münter war es, die viele seiner Werke vor den Nazis versteckte, rettete und 1957 der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München stiftete. In Paris schuf Kandinsky bis zu seinem Tod ein Spätwerk, in dem er sein Formenvokabular der Bauhaus-Jahre in eine Welt von organischen Mikrostrukturen in leuchtenden Farben überführte.

In diesem Jahr haben viele Ausstellungen, die an die Gründung des Bauhauses vor 100 Jahren erinnern, auch Werke des ehemaligen Bauhauslehrers Kandinsky gezeigt – etwa in Wuppertal, Krefeld, München oder Marburg. Am Anhaltischen Theater in Dessau kam im Sommer seine 1923 in Farben auf Papier festgehaltene "Bühnenkomposition" "Violett" zur Uraufführung, mit der Musik von Ali N. Askin. Und in München ersteigerte ein Sammler das Ölgemälde "Treppe zum Schloss (Murnau)" aus dem Jahre 1909 für 2,5 Millionen Euro – zu einem "Rekordpreis für ein Kandinsky-Bild", wie ein Sprecher des Auktionshauses erklärte.