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Besser als daheim

Die Hans-Zulliger-Schule in Brilon ist eine der kleinsten Schulen in Deutschland. Derzeit werden an der Ersatzschule 20 Jungen unterrichtet, die in ihren Heimatschulen oder in ihren Familien große Probleme hatten. Sie leben im zugehörigen Internat

Max (16) hat eine Geschichte geschrieben, eine Fabel. Er liest sie im Unterricht vor. Es geht um Erdmännchen und um Hyänen, die sich über andere lustig machen. Als Max endet, blickt er etwas verlegen in die Klasse. Applaus. Max lächelt. Die Fabel ist gut. Sie soll Teil eines Buches werden.
Max besucht die Hans-Zulliger-Schule in Brilon. Es ist eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Max ist noch kein Jahr hier, aber er fühlt sich wohl. Endlich. Offen berichtet er von seinen Erlebnissen, die an seine Fabel erinnern. „Ich wurde an meiner vorherigen Schule gemobbt und wollte da nicht mehr hin“, erzählt er. „Ich wollte überhaupt gar nicht mehr in eine Schule.“

„Mobbing wird bei uns nicht geduldet“

So kam er in eine Psychiatrie. Dort habe ihm eine Betreuerin vorgeschlagen, nach Brilon zu gehen. Darauf konnte er sich einlassen. „Hier geht es mir richtig gut.“ Er ist voller Lob für die Schule. „Mobbing wird hier nicht geduldet.“ Auch die Erwachsenen, mit denen er in Schule und Internat zu tun hat, mag er. „Und unser Lehrer ist der weiseste Mann, dem ich begegnet bin“, sagt er überzeugt.
Sein Lehrer Hans-Werner Rötzmeier (62) ist gleichzeitig auch der Leiter der kleinen Schule. Er hat mit den neun Schülern seiner Klasse Kurzgeschichten und Fabeln durchgenommen. „Das Selbst-Schreiben hat ihnen Spaß gemacht. Der Vorschlag, daraus ein Buch zu machen, kam von den Jungs.“ Rötzmeier hat die Idee gerne aufgenommen. Die Schüler wollen noch weitere verfassen. Im Kunstunterricht soll das Buch gestaltet werden.

Schulleiter ist seit Jahrzehnten dort Lehrer

Insgesamt 20 Schüler besuchen derzeit die Schule im Hochsauerland, verteilt auf drei Klassen. Alle wohnen im zugehörigen „Internat am Rothaarsteig“. Bis zu 30 Plätzen bietet die Schule. Davon könnten sechs von externen Schülern besetzt werden. „Aber mit 30 wird es schon sehr eng“, sagt Hans-Werner Rötzmeier. Er ist seit 1978 an der Schule und seit 15 Jahren Leiter. Träger der Einrichtung ist seit zwei Jahren die Diakonische Stiftung Ummeln (Bielefeld). Zwei Lehrer und eine Lehrerin unterrichten die Schüler in drei Klassen. Die Hans-Zulliger-Schule ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule. Das heißt, die Schule ist prüfungsberechtigt, Schüler können dort ihren Abschluss machen – vom Förderschulabschluss über den Hauptschulabschluss bis hin zum Mittleren Schulabschluss mit Qualifikation. Letzterer bedeutet, die Schüler könnten auf ein Gymnasium wechseln und das Abitur machen.
In der Größe der Schule sieht Rötzmeier viele Vorteile. „Viele unserer Jungs haben Schulängste, eine Sozialphobie, sind Mobbing-Opfer oder haben andere negative Erfahrungen gemacht, die sie nicht mehr machen wollen“, so Rötzmeier. „Klar haben wir auch Kracher dabei, die aggressiv sind. Hier lernen sie, ihre impulsiven Durchbrüche zu regulieren.“ Aber dennoch läuft nicht alles glatt. „Es kommt schon mal vor, dass einer etwas ausgefressen hat und wir mit der Polizei zu tun haben.“
Max und seine drei Klassenkameraden Aaron (14), Mika (15) und Douglass (14) sind manchmal etwas genervt von den Neuen, die noch nicht lange da sind. „Die bringen viel Unruhe rein“, sagt Aaron. „Sie stacheln sich gegenseitig auf. Aber sie müssen lernen, sich an unsere Schulregeln zu halten.“ Die vier berichten von den wöchentlichen Treffen aller Schüler, von den Regeln, die sie selbst aufgestellt haben und vom Gremium. „Das sind gewählte Schüler, an die wir uns wenden können, wenn es ein Problem gibt“, erklärt Douglass. „Hier ist es nämlich nicht egal, wie es uns geht.“ Mika schätzt es sehr, Bezugspersonen zu haben. „Da bleibe ich auch mit meinen persönlichen Problemen nicht allein.“
Die vier Jungs scheinen sich gegenseitig in ihrer Begeisterung anzustecken. Ihnen fallen immer mehr Punkte ein, warum sie gern in diese Schule gehen und hier im Internat wohnen. Da fallen Stichworte wie „viel Mitspracherecht“, Umweltschutz und Sport. „Der Rötzmeier trainiert mit uns Fußball“, sagt Douglass. Außerdem gehen die Schüler jeden Freitag schwimmen. „Ich mache bald den Schein für Rettungsschwimmer“, sagt Douglass. Auch die anderen drei sind sportlich aktiv – Schwimmen, Fußball, Judo, Krafttraining, Badminton und Bogenschießen stehen hoch im Kurs.

Sport hat einen großen Stellenwert

Doch bei allen wird deutlich, dass sie auch deswegen gern hier sind, weil sie dann nicht zu Hause sein müssen. Jeder von ihnen erzählt, was ihm daheim Schwierigkeiten gemacht hat – Streit mit Geschwistern und Eltern, Probleme in der Schule und mit dem Leistungsdruck.
Dann kommt das Gespräch auf das Buch mit den Fabeln. „Ich finde es so toll, dass die Idee aufgegriffen wurde“, sagt Aaron. Max findet den Gedanken schön, dass etwas von ihm gedruckt wird. „Vielleicht schreibe ich noch eine zweite Fabel.“