Die im Juni 2021 gegründete Dokumentations- und Informationsstelle Antisemitismus Mecklenburg-Vorpommern (DIA.MV) hat laut ihres Jahresberichtes im vergangenen Jahr 52 antisemitische Vorfälle im Nordosten erfasst. Das waren rund 44 Prozent mehr als im Vorjahr (2022: insgesamt 36 Vorfälle), heißt es in dem am Mittwoch in Rostock veröffentlichten Jahresbericht 2023. Die Zunahme der dokumentierten Vorfälle lege aber nicht zwingend oder allein eine tatsächliche Zunahme antisemitischer Vorfälle nahe, heißt es. Sie könne auch darauf hinweisen, dass DIA.MV zunehmend etabliert ist.
Auffällig im Vergleich zu 2022 war laut Bericht: 17 der 52 Vorfälle wiesen im vergangenen Jahr einen Zusammenhang zum israelisch-palästinensischen Konflikt auf, im Jahr 2022 wurde nur ein solcher Fall registriert. Im Jahr 2023 ereigneten sich alle Fälle nach den Massakern der Hamas am 7. Oktober 2023. Beispielsweise wurde laut Bericht am 11. Oktober ein Mitglied der jüdischen Gemeinde Schwerin in einem Bus genötigt, eine palästinensische Flagge zu küssen.
Häufigste Antisemitismus-Erscheinungsform war 2023 mit 18 Fällen der Post-Schoah-Antisemitismus. Dies ist laut Bericht eine Form der Schuld- und Erinnerungsabwehr, die die Verbrechen der Schoah relativiert, bagatellisiert oder leugnet. Dazu gehört beispielsweise der Vorwurf, Juden würden die Erinnerung an die Verbrechen als moralische Erpressung einsetzen.
Von den 52 Vorfällen wurden 44 der Kategorie „Verletzendes Verhalten“ zugeordnet, davon waren 34 Fälle Propaganda wie Schmierereien, Sticker oder Aussagen bei Versammlungen. Registriert wurden laut Bericht unter anderem drei Angriffe und zwei Bedrohungen.
24 Vorfälle und damit die meisten waren dem Bericht zufolge auf eine rechte, vorrangig rechtsextreme Motivation zurückzuführen, fünf waren verschwörungsideologisch, zwei islamistisch und eine links motiviert. 20 Fälle konnten keinem politischen Hintergrund zugeordnet werden.
Regionale Schwerpunkte für antisemitische Vorfälle waren die Stadt Rostock (22 Fälle) und der Landkreis Vorpommern-Greifswald (12 Fälle). In Rostock lasse sich die Häufung auch auf die Vorkommnisse im Kontext „Fußball“ zurückführen, heißt es im Bericht. Dazu gehöre beispielsweise, wenn gegnerische Fans als „Juden“ bezeichnet werden.
Die meisten antisemitischen Vorfälle ereigneten sich im öffentlichen Raum (24 Fälle). In 20 Fällen waren im vergangenen Jahr insgesamt 15 Einzelpersonen und sieben Institutionen betroffen. Von den Einzelpersonen waren vier jüdisch und drei davon als jüdisch erkennbar. Von den Institutionen war eine jüdisch. Diese Zahlen bewegten sich in einem ähnlichen Rahmen wie im Vorjahr und zeigten, dass für Juden grundsätzlich die Gefahr bestehe, „im Alltag antisemitisch adressiert zu werden“, heißt es. Antisemitismus lässt sich laut Bericht als ein gesamtgesellschaftliches Problem beschreiben.
Zusammen mit dem Jahresbericht wurde die Handreichung „Antisemitismus die Stirn bieten. Hilfestellung zur erfolgreichen Intervention“ vorgestellt. Diese solle insbesondere Mitarbeitenden im Schulkontext und in Vereinen befähigen, Antisemitismus zu erkennen und präventive wie intervenierende Maßnahmen einleiten zu können, hieß es von DIA.MV.